Ein Ingolstädter Professor aus dem Geblüte der Orsini -
Zum 450.Todestag des Ursinus, der im September 1571 in Rom verstarb
von Gerd Treffer
Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 14 - Ausgabe Nr. 150 vom 15.07.2024
Nach Humanisten-Art latinisiert nannte man den Professor, der 1567 bis 1571 in Ingolstadt lebte und lehrte Ursinus. Ansonsten hieß der 1544 in Rom zur Welt gekommene Sprössling eines der berühmtesten römischen Stadtadelsgeschlechter Carlo Orsini.
Die Orsini – zum familiären Hintergrund des späteren Ingolstädter Professors
Die weitverzweigte Adelsfamilie hat nach 1100 ( und bis hinein in die jüngere Zeit) maßgeblichen Anteil an der italienischen (und europäischen) Geschichte. Aus der Familie kommen drei Päpste, zwei davon aus der Zeit, ehe Carlo Orsini nach Ingolstadt kommt, 24 Kardinäle und zahlreiche andere hohe Kirchen- und weltliche Fürsten. Der erste Kardinal des Hauses Orsini taucht unter 928 unter Papst Leo VI. auf, Romano Bobone. In der Folge stellten die „filii Ursi“ einflussreiche Männer, ebenso im stadtrömischen Senat wie in der Kurie. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts kommt mit Coelestin III. ein weiterer Papst aus ihren Reihen auf den Stuhl Petri. Seit dem Pontifikat dieses Hyacinto Bobo (1191-1198) kämpft die Familie (als Vertreter der Guelfen-Partei) mit den (ghibellinischen) Colonna um die beherrschende Stellung in Rom. Coelestin ernennt zwei seiner Neffen zu Kardinälen, sorgt für immensen Grundbesitz in Familienhand . Matteo Rossi Orsini (1178 – 1246) erwirbt Latifundien zwischen Rom und Siena. ( Er war es, der nach dem Tod Papst Gregors IX. in Ausnutzung seiner stadt-administrativen Kompetenzen die Kardinäle zur Wahl eines Nachfolgers im Septasolium einsperren ließ- - was diese Wahl zur Mutter aller Konklave werden ließ. Besagter Matteo Rossi ist übrigens ein Freund von Franz von Assisi und selbst franziskanischer Tertiar. Sein Sohn Giovanni Gaetano ist als Kardinal Protektor des Franziskanerordens und schafft es als Nikolaus III. zur päpstlichen Würde. Über die nächsten Jahrzehnte hin bekriegen sich die mächtigen Adelsfamilien. Die Orsini bereichern sich im ( vierten) Kreuzzug mit Hilfe der Venezianer um griechisches Besitztum ( die Pfalzgrafschaft Kelafonia, das Despotat Epirus). Der Gerechtigkeit willen sei angemerkt: anderswo auf dem italischen Stiefel geht es nicht weniger rüde zu. In Verona gibt es die von Shakespeare unsterblich gemachte Romanze der Julia mit ihrem Romeo als Vorderund der verfeindeten Clans der Montague und Capulets. In Mailand agieren die Visconti ( die junge Thaddäa Visconti, die nach Bayern-Ingolstadt einheiratet, hat im Wappen eine männerverschlingende Schlange), in Florenz die Medici, (deren berühmter Tochter Katharina, die ins französische Königshaus vordringt, die hohe Kunst der giftigen Pflanzen, sagt man, bis zum letzten Blatt geläufig ist).
Italien in Bayern-Ingolstadt
In Bayern interessiert man sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts natürlich für die Geschehnisse im fernen Rom, mehr aber noch für die Entwicklungen in den näherliegenden Gebieten der mächtigen, der prächtigen Herrschaften im nördlichen Italien. Eine Tochter des mailändischen Machthabers Barnabeo, des „Tyrannen“ hat sich ( wie oben erwähnt ) ehelich mit Herzog Stephan , dem Kneißl, verbunden , dem „Prachtliebenden“, dem Mann der keinem Tost aus dem Wege geht, einem wackeren Recken, der deshalb auch die männerverschlingende Schlange im Wappen seiner Gemahlin nicht fürchtet und dem Hausdrachen die Stirn bietet. Zwei Kinder: Sohn Ludwig , Tochter Elisabeth. Sie nennt man später „Isabeau de Bavière“, Königin von Frankreich, da sie 1385 als strahlende Schönheit den französischen König Karl VI. geheiratet hat.
Nur am Rande : in der Zeit, da Troubadoure außer Modegeraten waren und die Klatschpresse noch lange auf sich warten musste, gab es keine festen Begriffe, ihre Rolle in die Neuzeit zu überführen. Nach aktuell geltende Sprech war Isabeau ein absolut angesagtes IT-Mädchen, der junge König der „begehrteste Junggeselle der Zeit“ an allen Adelshöfen der bekannten Welt ; zusammen feierten sie eine – schon damals so genannte- „ Blitzhochzeit“ und galten als das glamouröste Paar der Welt schlechthin.
Ihn nennt man in der Geschichte Ludwig den Gebarteten. Er kann zwar nichts dafür, dass seine kleine Schwester die Frau des mächtigsten Fürsten Europas wurde, wird sich aber Zeit seines Lebens als „ der Königin von Frankreich Bruder“ titulieren und in Urkunden festhalten lassen. Italienischer Adel steht hoch im Kurs. Italien liebt es zu paradieren. Italien liebt es zu illusionieren. Bella Figura. Dafür mordet, taktiert, paktiert man in den führenden Adelshäusern. Von 1500 an (und bis 1958) teilen sich die Orsini mit den Colonna die Würde eines „ Assistierenden Fürsten des päpstlichen Stuhls“. So also in etwa, da in den Verflechtungen des stadtrömischen Hochadels (der Aldobrandini, der Broghese, der Barberini, der Doria, der Caetani, der della Rovere, Chigi, Massimo, Odelscalchi, Pallavinchi, Ruspoli, Torlonia) nicht jeder den Überblick behalten kann, muss man sich die Absichten und Erwartungen vorstellen, mit denen ein Jüngling, der kaum Flaum an den oliv-teintenen Backen hat, im Haus der Jesuiten in Rom abgeliefert wird.
Carlo Orsini
Schon mit 14 Jahren tritt Carlo in Rom im September 1558 der Gesellschaft Jesu bei .Da war Ignatius von Loyola erst zwei Jahre zuvor verstorben. Angesichts der Herkunft aus einem der führenden römischen Häuser ist nicht auszuschließen, dass Carlo als Kind den Ordensgründer noch persönliche kennengelernt hat und ihn die führenden Männer der frühen Ordenshierarchie als Stöpsel, als Bambino kannten. (Wir sind im familien- und clan-gesinnten Italien: streicht man da nicht einmal dem Buben des Freundes , des nächsten oder nützlichen Bekannten übers schwarze Haar und murmelt, man werde sich erinnern, wenn es Zeit ist?). In so frühen Jahren in den Orden aufgenommen zu werden und wenn man aus solchem Hause stammt, deutet darauf hin, dass man für einen „weiteren“ Sohn sich eine angemessene Rolle, vielleicht sogar eine Karriere in der kirchlichen Welt denkt, hier vermittels des jungen, dynamischen und durchaus „politisch“ wirkmächtigen Jesuitenordens. Zudem: der Orden ist jung, mochte sich zu einer die Politik im alt und verknöchert gewordenen Italien, wer weiß, vielleicht auch jenseits der Alpen im Römischen Reich beeinflussenden Kraft entwickeln. ( Carlo taucht insoweit auch bei J Frejer unter den Defuncti primi saeculi Societatis Jesu 1540-1640 im ersten Band auf, der 1982 in Rom erschien.
1566 taucht Carlo im Ordenskolleg in Padua auf. Nicht mehr ganz so jung. Durch die Ordensschule gegangen. Von dort zieht er weiter nach Norden.
1567 ist er in Ingolstadt. Man verzeichnet ihn ( bis 1569) als Professor für Naturphilosophie und Physik. (1568-1569 soll er „privatim“ auch Metaphysik gelesen haben).
Gleich zu Beginn seiner Professur erfährt Carlo Orsini, was es heißt, in die universitären Intrigen zwischen Jesuiten einerseits und den weltlichen Mitgliedern des Lehrkörpers verwickelt zu werden.
Die ruppige Ansiedlung der Jesuiten in Ingolstadt
Herzog Wilhelm IV. hatte für seine Universität , an der der große Widersacher Martin Luthers , Professor Eck, gelehrt hatte, die den Gegenpart zu Wittenberg darstellte, um Entsendung von Jesuiten gebeten. Ignatius hatte 1549 Petrus Canisius, den „Zweiten Apostel der Deutschen“, Alphons Salmeron und Claudius Jajus geschickt, um die „theologische Lücke“, die sich nach Ecks Tod geöffnet hatte, zu schließen. Herzog Wilhelm hatte den Jesuiten den Bau eines eigenen Kollegs versprochen, das sich nach seinem Tode verzögerte , weshalb Canisius und seine Ordensbrüder - demonstrativ - wieder abzogen. Unter Wilhelms Sohn, Herzog Albrecht V., kam Zug in die Sache und Ignatius entsandte 1556 18 Ordensmänner, die im Juli in Ingolstadt eintrafen. Bis zur Fertigstellung des Kollegbaus wurden sie provisorisch untergebracht. 1576 dann konnten die Jesuiten den machtvoll ausgreifenden Gebäudekomplex in unmittelbarer Nachbarschaft zur Herrschaftskirche beziehen. Nach herzoglichem Stifterbrief war die Jesuitendomäne Teil der Universität mit allen Rechten, Pflichten und Privilegien.
Orsini kam nach Ingolstadt, ehe das große Kollegiengebäude bezogen werden konnte. Er geriet hinein in das garstig Geplänkel, mit dem die weltlichen Professoren der jesuitischen Konkurrenz zu erwehren suchten. Einer der Gründe für die scharfe Kontroverse war, dass die Jesuiten keine Hörgelder verlangten, auf die die anderen Professoren angewiesen waren. In zahlreichen Beschwerden und bitteren Beschuldigungen wehrten sich die Alteingesessenen. So schrieb etwa der Vizekanzler Martin Eisengrein (1572), es sei gefährlicher etwas über den Pförtner der Jesuiten zu sagen als über den Landesherrn. Es war die schärfste Klage, die je von einer Universität gegen die Jesuiten geführt wurde : keine Grenzen hülfen mehr, „ dieses Gesindel kommt überall durch“.
In der Regel konnten sich die Jesuiten auf das politische Wohlwollen des Herzogs verlassen – er hatte sie ja schließlich auch angefordert.
Orsini in Turbulenzen
Kaum angekommen geriet Carlo Orsini in dieses intra-universitäre Wespennest, ein Ringen um Einfluss auf die Universitätsverwaltung und wirtschaftliche Pfründen, denn um Lehr-Inhalte, um philosophische Differenzen, um theologische Unvereinbarkeiten ging es gar nicht. Sein anfangs von der Fakultät gebilligter Einzug in den Senat wurde bald zum Anlass für eine Beschwerde der weltlichen Professoren. Es dauerte einige Wochen bis ein Kompromiss ausgehandelt wurde, der den Rückzug der Jesuiten aus dem Gremium und dem Senat vorsah und sie auf Vorlesungen und öffentliche Akte innerhalb der Fakultät beschränkte. Letztliche ging es darum die Jesuiten zwar lehren zu lassen, sie aber von den Einnahmequellen der lesenden Magister und von der Verwaltung der Universität entfernt zu halten. Gelungen war es den Gegnern der Jesuiten, sie von der Verwaltung des Georgianums abzuhalten; im Gegenzug planten diese aber eine konkurrierende Anstalt für die Heranbildung von Geistlichen – wo würde (1576) in einem Haus an der Schutter , vom Herzog unterstützt, das Collegium Albertinum, als Priesterseminar entstehen.
Nachdem der Kompromiss ausgehandelt war , widmet sich Carlo Orsini seinen Lehrverpflichtungen und seinem eigenen Studium der Theologie. Schließlich hat Ingolstadt in diesen Zeiten das Beste an Theologie zu bieten, das in Europa gelehrt wird. Dass er am wissenschaftlichen Leben der Universität teilhat, an den förmlichen Verhandlungen , also am Forscherleben der damaligen Praxis , am Bemühen, die Debatte der neuen Zeit zu führen, mit Verve beteiligt ist zeigen die Protokolle der Universität. Am 27 September 1568 etwa war er Defendent einer theologischen Disputation.
Nach Niederlegung seiner Ingolstädter Professur kehrte Ursinus wohl im Herbst 1569 nach Rom zurück.
In der Heiligen Stadt empfing er im Frühjahr 1571 die Priesterweihe. Er bereitete sich, heißt es, auf die theologische Doktorprüfung vor. Unerwartet aber starb er am 14. ( oder19.) September des Jahres.