Logo Kurt Scheuerer Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Gerd Treffer:
Von der Donau nach Peking
Ingolstädter Gelehrte in der China-Mission der Jesuiten

 
Im Ingolstadter Stadtmuseum finden sich Porträtbilder von Jesuiten in unerwarteter Gewandung: in chinesischer Mandarintracht. Sie weisen auf ein passionierendes Kapitel der Ordensgeschichte hin: die China-Mission, in der auch die Ingolstädter Jesuiten eine besondere Rolle spielten.

Die China-Mission war keine Masseneinwanderung christlicher Verkünder. Ihre Zahl war gering - ihre Wirkung in Relation dazu groß, dank herausragender Persönlichkeiten. Erfolge basierten vordergründig auf den Leistungen der Patres in den profanen Wissenschaften - der Mathematik, der Kartographie, der Astronomie. Als Gelehrte genossen die Ordensmänner Ansehen bei der chinesischen Oberschicht. Wissenschaft wurde Vehikel der Verkündigung. Gefragt war für einen China-Missionar fachlich-wissenschaftliches Können. Daß unter den Sendboten des Okzidents maßgeblich Vertreter der Universitätsstadt Ingolstadt auftauchen, ist daher so verwunderlich nicht.

Die Bilder im Stadtmuseum zeigen Allessandro Valignano und Matteo Ricci. Valignano (1539 bis 1606) war nach Franz Xaver der bedeutendste Organisator der asiatischen Mission im 16. Jahrhundert. Mit 34 zum Visitator aller asiatischen Ordensmissionen ernannt, erhält er ausgedehnte Sondervollmachten. Bis zu seinem Tod 1606 prägt er die Entwicklung der Mission in Indien, Japan und China. Seine Reorganisation bedingt bald einen vermehrten Zustrom aus Europa. Valignanos Bedeutung liegt vor allem darin, daß er der Bekehrung durch Feuer und Schwert wehrte. Ricci (1552-1610) wollte zunächst die gebildete Klasse des Gastlandes durch Vermittlung der westlichen Wissenschaft und Eingehen auf die in China vorgefundenen Werte gewinnen. Um die Jahrhundertwende gelang es ihm, sich in der Hauptstadt niederzulassen: Er wurde Direktor des kaiserlichen Observatoriums zu Peking. Seine wissenschaftliche Tätigkeit bot ihm Kontakte, die dem immer bedrohten Wirken des Ordens Schutz versprachen. So gilt er als eigentlicher Begründer der China-Mission, deren Oberer er ab 1597 war.

Die Bilder dieser beiden Männer waren in Ingolstadt präsent. Unter Luthers großem Gegenspieler Eck war Ingolstadt zum Zentrum der Gegenreformation geworden. Als Eck 1543 starb, drohte der Universität eine "theologische Lücke". 1549 berief deshalb der Bayernherzog die Jesuiten nach Ingolstadt. Noch im November traten drei Vertreter des Ordens ihre Vorlesungen an. Petrus Canisius, ein Niederländer, Alphons Salmeron, ein Spanier, und Claudius Jajus, ein Savoye.

Zwistigkeiten an der Universität

Die Jesuiten und die "anderen Professoren" vertrugen sich indessen schlecht: 1564 zum Beispiel sandte die Universität den Professor Nikolaus Everhard mit bitteren Vorwürfen zum Herzog. Seine Instruktionen waren bissig und provozierend: Ob die Jesuiten denn die Mehrheit im Senat erhalten sollten und - heilige Scheinheiligkeit - ob es nicht besser sei, die für den Himmel arbeitenden Jesuiten von der Last der Senatssitzungen und anderer Formalien zu befreien? 1571 schrieb die Universität an den Herzog, daß man von den Jesuiten entweder vertrieben oder versklavt werde.

Die Hintergründe waren freilich nicht immer allein weltanschaulicher Natur. Gerstner bringt es in seiner alten Ingolstadt-Chronik auf den kürzestmöglichen Nenner: "Diese lehrten unentgeltlich die Philosophie und schöne Wissenschaften zu allgemeiner Zufriedenheit, jene fanden sich dadurch an ihrem Einkommen verkürzt."

1573 kam es zu neuen Zwistigkeiten. Die Jesuiten zogen ab. Doch: "Bald fühlten die Universität und die Stadt den Abgang der Jesuiten; die Zahl der Lehrer überstieg beinahe jene der Zuhörer, und schon nach zwei Jahren bat der akademische Senat um der Jesuiten Zurückberufung." Das neue Kollegium war inzwischen vollendet. Die Jesuiten kehrten 1576 gestärkt zurück.

In Ingolstadt lag nun das Zentrum für die akademische Nachwuchsbildung der oberdeutschen Ordensprovinz, zu der auch Solothurn, Luzern und Fribourg in der Schweiz gehörten. Während die angehenden Jesuiten meist in Landsberg das Noviziat machten, studierten viele in Ingolstadt. Viele Patres waren an der Universität als Professoren tätig. Dennoch wurde die erste bayerische Landesuniversität nie zu einer reinen Jesuitenuniversität.

Einige Jesuitenprofessoren erreichten hervorragenden Rang in der akademischen Welt ihrer Zeit. Gregor von Valencia, dessen Ingolstädter Zeit von 1575-1597 dauerte, wird nicht zu Unrecht der bedeutendste deutsche Theologe im Jahrhundert nach dem Tridentinum genannt. Aus seinem Schülerkreis stammt Jakob Gretser: Seine Spannweite reicht vom Späthumanismus bis zur kämpferischen Gegenreformation, von linguistischen Arbeiten bis zu Streitschriften und Dramen. Jakob Balde: Mit ihm stießen die Ingolstädter Jesuiten auf die literarische Ebene vor. Das Ingolstädter Jesuitentheater, ein echtes Stück bayerischer Barockkultur, wurde zu einem entscheidenden Faktor bayerischer Theatergeschichte. Neben die neulateinische Lyrik Baldes tritt sein historiographisches Werk. Zuletzt, aber nicht als geringster, sei Christoph Scheiner genannt. Mit seinem selbstgebauten Fernrohr hatte der Pater vom Turm der Hl.-Kreuz-Kirche die Sonnenflecken entdeckt (und war darüber mit Galilei in einen Prioritätenstreit geraten). Die Neigung zu theologiefernen Studien, wie sie Scheiner zeigt, kam den Jesuiten in der Mission zugute.

Die Mission ging zunächst wesentlich von Portugal und Spanien aus. Deutschland selbst war Neuland für die Jesuiten. Erst 1556 hatte Ignatius eine eigene ober- und niederdeutsche Ordensprovinz errichtet; doch brachte man der auswärtigen Mission hier großes Interesse entgegen. Canisius, erster Provinzial der oberdeutschen Provinz, las eifrig die einlaufenden Missionsbriefe, erklärte sich auch selbst bereit, nach Indien zu gehen. Einige Missionare aus seiner Provinz bot er dem Generalvikar des Ordens, Salmeron, an. Immer wieder baten einzelne um Entsendung. So schrieb Markus Graff aus Ingolstadt am 3. März 1568 an Aquaviva, das Verlangen, Indien zu helfen, beschäftige ihn so lebhaft, daß er dringend um einen Ruf des Gehorsams nach Indien bitte.

Der General beschied, die Leutenot sei in Deutschland zu groß; Graff möge sein Verlangen nach Arbeit und Opfer ganz auf Deutschland richten. Aber Eifer und Begeisterung für Indien, das heißt, die überseeischen Missionen, erloschen bei den deutschen Jesuiten nicht. Immer wieder wurden sie angefacht durch Berichte, die schon im 16. Jahrhundert in Dillingen, Ingolstadt, München und Augsburg in deutscher und lateinischer Sprache erschienen.

Kurz nach Riccis Tod, 1610, ging der Belgier P. Trigault nach Europa - auf dem Landweg übrigens, von Goa aus. Seine Berichte erregten großes Aufsehen an den Höfen Europas und schürten die Missionsbegeisterung. 1616 besuchte Trigault auch Deutschland und rief besonders bei den studierten Jesuiten Begeisterung wach. Allein in Ingolstadt meldeten sich vierzig Professoren und Studenten für die China-Mission. Vier Ingolstädtern wurde die Abreise gestattet.

Frohlockend in die fernsten Länder

Die Geschichte des Ingolstädter Kollegs berichtet zum Jahr 1616: "Von den 142 Bewohnern dieses Kollegs waren vier, welche von großem Seeleneifer für Indien entbrannt, nach vielen Bitten beim P. General als die ersten aus diesem Kolleg und dieser Provinz nach Indien geschickt worden. Unter den Glücks- und Segenswünschen des Kollegs brachen sie am 8. Februar 1616 auf: Andreas Agricola nach Paraguay, Kaspar Rueß, Ferdinand Raiman und Michael Durst nach Peru. Zu diesen kam im folgenden Jahr für die chinesische Mission Johann Albericus."

Ein Fr. Johann Irling schrieb aus Ingolstadt am 24. Januar 1616 an den P. General Motius Vitelleschi: "Es ist unglaublich, mit welchem Jubel die außerordentliche, am 23. Januar hier eingelaufene Botschaft Ew. Paternität, durch welche vier aus den vielen trefflichen jungen Leuten dieses Hauses für die Reise nach Indien bestimmt und ausersehen wurden, das ganze Kolleg erfüllt hat. 0 ewig denkwürdiger Tag! Die Oberen sahen sich gezwungen, bezüglich der Regel des Stillschweigens ein Auge zuzudrücken, damit die überströmenden Gefühle des Herzens einen Ausweg fänden ..."

Die Missionsbegeisterung war in Ingolstadt nicht ungeteilt. Der selige Pater Jakob Rehm soll auf die Kunde von der Abreise jener fünf ersten Missionare bemerkt haben: "Warum gehen sie in jene entlegenen Länder? Die Zeit ist nahe, wo wir in Deutschland selber ein Indien haben werden, für welches die Zahl der Arbeiter, die jetzt in der Provinz sind, nicht ausreichen wird."

Den Ingolstädtern waren unterschiedliche Schicksale beschieden: Albericus starb auf dem Weg nach China. Die Missionsbegeisterung bei den Zurückgebliebenen ließ jedoch nicht nach. George Balde, ein jüngerer Bruder des großen Jesuiten-Dichters, macht sein geringes Alter geltend: So könne er leichter die arabischen, indischen, japanischen Sprachen lernen, schreibt er am 5. März 1634. Sein Verlangen geht nach der Märtyrerpalme. Sein Studiengenosse Staudacher übersendet dem General am 12. Oktober 1634 sein mit dem eigenen Blute geschriebenes Gelübde für die indische Mission.

Auch Jakob Balde selbst wäre gerne in die Mission gegangen. Sein Biograph Bach meint: "Besonders tief und nachhaltig war in ihm der Wunsch, Missionar zu werden. In dem herrlichen Säkulargesang, den er 1640 auf den hundertjährigen Bestand des Jesuitenordens dichtete, hebt er mit hinreißendem Hochgefühl die Missionstätigkeit desselben, gewiß die edelste Blüte in seinem Ruhmeskranze vor aller Welt, hervor. Man fühlt es diesen Strophen an, daß er frohlockend in die fernsten Länder gezogen wäre..." Der jüngere Balde und Staudacher stehen hier nur als Beispiel für die vielen Ordensmitglieder, die ihren Wunsch, in die Mission gesandt zu werden, bekundeten.

"Zeige Du China die Sterne"

Da der General nicht allen Bittstellern antworten kann oder will, schreibt er am 10. Juni 1634 an den Rektor von Ingolstadt, Johann Glückh, daß ihn die vielen Briefe - er nennt die Namen von 16 Schreibern - außerordentlich gefreut hätten; leider könne er jedoch den Wünschen nicht entsprechen.

Pater Alberich war der Seeweg nach China zum Verhängnis geworden. Er sollte nicht der letzte meerbestattete Ingolstädter Jesuit sein. Ausgangspunkt der Seereisen in die Mission war Lissabon (für die portugiesischen) oder Sevilla und ab 1720 Cadix (für die spanischen Niederlassungen). Diese Hafenorte waren mithin erstes Etappenziel der Missionare. Für Süddeutsche bedeutete das gewöhnlich den Weg über Tirol, quer durch Norditalien nach Genua und von dort auf meist englischen oder französischen Schiffen in die genannten Häfen. Manchmal mußten sie sich dort ein bis zwei Jahre gedulden. Der Weg nach China ging gewöhnlich über Moçambique (wo überwintert wurde), dann Goa, was die Reise erheblich verzögerte. Später hielt man von der Südspitze Afrikas auf die Sunda-Inseln zu und zwischen ihnen hindurch nach Macao, was ein halbes Jahr Zeitersparnis brachte. Auf der alten Route dauert die Strecke Lissabon Macao bis zu 370 Tage, auf der neuen manchmal nur 170.
 
1671 traf der zum Procurator erwählte Pater Intorcetta aus China in Rom mit der Bitte um Nachwuchs ein. Er dachte an 40 Missionare. "Nur" 27 Jesuiten versammelten sich 1673 in Lissabon, zwölf davon für China. Plattner vermerkt: "Unter ihnen ragten zwei Männer an Alter und Geistesgaben hervor, die beiden Ingolstädter Universitätsprofessoren Adam Aigenler und Beat Amrhyn." Nach jahrelangem, beharrlichem Werben hatten sie endlich auf Grund ihrer mathematischen Fachkenntnisse von P. General die Bestimmung für China erhalten. P. Widl schrieb an Amrhyn: "Es erging der Ruf, Freiwillige vor zur Rettung überseeischer Völker. Einer der ersten, die sich meldeten, ist Beatus, der hochgemute Apostel... Als berühmter Mathematiker zeige Du China die Sterne. Ziehe mich nach, beide sind wir bereit, unser Blut zu vergießen." An anderer Stelle wird vermerkt: "Die Abreise der beiden geschätzten Hochschullehrer brachte das ganze Städtchen in Bewegung."

Pater Amrhyn führte, wie es sich für einen präzisen Mathematiker gehört, genau Tagebuch. Am 15. März begaben sie sich mit allen Feierlichkeiten, die den Auslauf der Indienfiotte traditionell begleiteten, an Bord. Dann kam es wie so oft: in der Äquatorialzone wird der Schiffsrumpf zum dampfenden Ofen; brennender Durst, fauliges Wasser, die Guinea-Seuche. Am 11. April macht P. Amrhyn seine letzte Tagebucheintragung. Am 15. April vermerkt sein Reisegefährte: "Gegen neun Uhr abends starb nach Empfang der hl. Ölung P. Beatus Amrhyn eines Todes, wie er seinem Leben und Namen entsprach." Dies war auch P. Aigenlers letzte Eintragung. Er war selbst krank. Am 7. August - das Schiff hatte gerade das Kap umsegelt - rührte ihn der Schlag. Drei Wochen zog sich sein Leiden hin: er starb am 26. August.

Der goldene Schlüssel

Albericus, Amrhyn, Aigenler - drei Opfer des weiten Wegs in die China-Mission. Münsterberg kommt in seinem nicht sonderlich zuverlässigen Aufsatz in der Zeitschrift des Münchner Altertumsvereins von 1894 mithin etwas spät, wenn er schreibt: "Es scheint, daß damals zum ersten Male auch Missionare von Ingolstadt ausgesendet wurden, und zwar der Pater Casp Castner, Ignatius Kögler, Victor Walter, Th. Hinderer, Anton Gogeisl."

Castner ging 1696 nach China, wurde Vorsitzender des Mathematischen Instituts und Hofmeister der kaiserlichen Prinzen. 1703 unternahm er im Auftrag des Apostolischen Vikars von Nanking eine Reise nach Rom und brachte viele Raritäten mit - darauf wird zu kommen sein. 1706 kehrte er mit neugeworbenen Missionaren nach China zurück. Er starb am 9. November 1709 zu Peking. Walter Victor wirkte in Südamerika und später auf den Marianen. Hinderer (der Vorname lautet richtig: Romanus) kam 1707 nach China. Seinen Lebenslauf dort beschreibt Huonder: "Gelangte durch seine mathematischen und karthographischen Arbeiten bei Kaiser Kang-hi in große Gunst, durchreiste in dessen Auftrag zur Aufnahme einer allgemeinen Landkarte von China das Reich und entfaltete 40 Jahre lang eine großartige, allseitige Tätigkeit."

Eine herausragende Persönlichkeit war Ignatius Kögler, mit chinesischem Namen Tai. Kögler trat am 4. Oktober 1696 in Ingolstadt, wo er studierte, dem Orden bei. Drei Jahre lang war er Professor für Mathematik und orientalische Sprachen an der Universität Ingolstadt. 1716 kam er nach China. Er genoß am Hofe wegen seiner außerordentlichen Gelehrsamkeit hohes Ansehen. Er bekleidete 30 Jahre lang die Würde eines Präsidenten des mathematischen Tribunals als Mandarin 2. Klasse. 1731 wurde er sogar zum Beisitzer des obersten Sittengerichts - "dergleichen hohe Ehrenstelle noch keinem unserer Vorfahren zu theil geworden", wie P. Laimbeckhoven berichtet. Er wird unter "die gelehrtesten Köpfe, so jemals in dieses Land gekommen sind", gerechnet. Er war zweimal Visitator der Mission und Provincial der chinesisch-japanischen Provinz und zur Zeit der Verfolgung die Hauptstütze der bedrängten Mission, die er bei Hofe klug vertrat. Er starb am 29. März 1749.

"Es war bekanntlich der goldene Schlüssel der Wissenschaft und Kunst, welcher den Jesuiten den Zugang zu den verschlossenen alten Culturreichen Ostasiens eröffnete", schreibt Huonder und zitiert als Beweis ein Schreiben des Pater Joseph Neugebauer aus Cochinchina von 1741: "Diese europäischen Künste und Künstler (Mathematik, Mechanik, Astronomie, Malerei, Musik, Arzneikunde) seynd die einzige Stütze, die unser heiliges Christentum, welches in diesem Reich immer auf wankendem Fuße stehet, aufrecht und die Gesinnung des Monarchen gegen die Europaeer günstig und geneigt erhalten."

Meister himmlischer Geheimnisse

An den berühmten karthographischen Aufnahmen des chinesischen Reiches haben deutsche Jesuiten einen beträchtlichen Anteil. Martini, ein herausragender Geograph, der die meisten chinesischen Provinzen selbst durchwanderte, gilt als "Vater der geographischen Kenntnisse über China". Aber auch der "Ingolstädter" Kögler zählt unter die bedeutenden Geographen. In der mathematischen und astronomischen Wissenschaft stellten die Jesuiten traditionell die besten Vertreter. Auch hier steht in China Kögler in vorderster Front, zusammen mit Ricci und Adam Schall.

Adam Schall, chinesisch Tang, in Köln geboren, unternahm gemeinsam mit dem Mailänder P. Jakob Rho, die nach acht Jahren vollendete Reform des chinesischen Kalenders; daß diese den Jesuiten übertragen wurde, ist an sich schon ein Politicum und zog sie in die subtilen Machtkämpfe der verbotenen Stadt. Gleichzeitig richtete Schall die kaiserliche Sternwarte neu ein. Er wurde Präsident des Mathematischen Tribunals mit dem Titel eines "Meisters himmlischer Geheimnisse", Vorsitzender des großen Tribunals als "Großer Mann des berühmten Rates" und 1658 kaiserlicher Kämmerer, mithin Mandarin 1. Klasse, im Rang unmittelbar nach den Reichsfürsten. Der junge Kaiser übertrug ihm später die Erziehung seines Sohnes. Nach des Kaisers Tod fiel Schall Hofintrigen zum Opfer; er wurde als Greis eingekerkert und zum Tode verurteilt, wieder befreit und starb am 15. August 1666.
 
In die Reihe astronomischer Könner gehört später auch der Ingolstädter Anton Gogeisl. Gogeisl, geboren am 30. Oktober 1701, stammt aus Siegenburg; 1720 schloß er sich den Jesuiten an, glänzend begabt für mathematische Studien. Für 1726 verzeichnet eine Ingolstadt-Chronik: "Unter den gelehrten Disputationen erwarb sich den Preis im Fache der Mathematik der Professor Anton Gogeisl, welcher in der Folge als Missionär nach China ging und sich dort die Gunst des Kaisers durch die Verfertigung eines astronomischen Quadranten erwarb, welcher selbst dem zu Paris verfertigten vorgezogen wurde. Er starb zu Peking im Jahre 1772." In der Tat ging Gogeisl 1736 ab und kam 1738 in China an. Er wird Mandarin und folgte P. Hallerstein in der Stellung eines Beisitzers beim mathematischen Tribunal. Später wurde er Vorstand der Kaiserlichen Stemwarte, deren Instrumente er zum Teil selbst verfertigte. Ein Chronist notiert: "Er ließ einen Quadranten durch Sinenser verfertigen, der zum Observieren noch besser befunden wurde als der parisische auf der Sternwarte zu Peking." Gogeisl starb am 12. Oktober 1771 zu Peking.

Wissenschaft und Politik waren in China anders verflochten als in Europa. Das Mandarinat war mehr als bloße akademische Würde - es war Staatsamt. Wissenschaft war nicht bloßes Hilfsmittel, sie war Politik. Astronomie beeinflußte den Kalender, der für die Festlegung des konfuzianischen Staatsablaufs Bedeutung hatte. Es war hohe Politik, was die Jesuiten trieben; der anerkannte Wissenschaftler war - wie das Beispiel Schalls zeigt - auch gefragter Berater. Das europäische Programm der Jesuiten, auf das Haupt Einfluß zu nehmen, wurde in chinesische Begriffe übersetzt. Die Schwäche blieb die "Basis"; dazu hätte es vielleicht kommen können, doch die jesuitische Zeit reichte nicht aus.

Ohne Arroganz in fremder Kultur

Soweit die riesenhaften Entfernungen es zuließen, pflegten die gelehrten Missionare den Gedankenaustausch mit ihren Ordensbrüdern in der Heimat. Daß die Universitätsstädte in Europa daran lebhaftes Interesse hatten, liegt auf der Hand. Daß die Brüder in China auch um die eine oder andere Rarität ersucht wurden, wohl ebenso. Eine der berühmtesten Sammlungen solcher Raritäten bestand in Ingolstadt. Im Hof hinter dem Ostflügel des ehemaligen Jesuitenkollegs hat sich ein langgestreckter Barockbau von 1722 erhalten, dessen ganzes Obergeschoß ein stuckierter Raum einnimmt, der sogenannte Orbansaal. Er beherbergte die seinerzeit weltbekannte Sammlung von Gemälden, Kupferstichen, mathematischen, physikalischen und ethnographischen Schaustücken, die der Jesuit Ferdinand Orban zusammengetragen hat.

Daß auch aus der China-Mission hier beigesteuert und dankbar angenommen wurde, ist selbstverständlich. Von P. Castner war bereits die Rede. Über ihn berichtet der ausführliche Orban-Katalog von 1774: "Messer und zwei Stäbchen sind von P. Castner, einem gebürtigen Münchner; dieser Missionar der Gesellschaft war zu Peking und stand in großem Ansehn bey Hof; der Kaiser machte ihn zum Mandarin und gebrauchte sich seiner Person in der Gesandtschaft nach Rom, von da aus kam er wieder in unsere Provinz und in unserem Refectorio nahm er das Mittagsmahl ein, bei dem er diesen Löffel, Messer und Gabel brauchte."

Der Katalog zählt im einzelnen die Bestände auf, wie Castners Besteck oder "3 chinesische Schreibfedern, wie sie samt der Dinte P. Gogeisl herausgeschickt" oder "Ein sinesischer Gott. Es ist eine Verehrung des P. Romanus Hinderer, die er durch den P. de Suza, den der Weg durch Ingolstadt traf, geschickt hat", aber auch fünf Bücher Schalls, Abbildungen der Sternwarte zu Peking mit Spezialkarten der einzelnen Instrumente von Verbiest von 1668, so auch "Erklärung der in China gemachten Beobachtungen über die sieben Planeten von P. Verbiest anno 1686", in chinesische Seide gebundene Bücher mit Abbildungen von Handwerkszeug, Uhrenbau, " Erzählung der Erbauung des Grabes des H. Franc Xavier, die P. Casparus Castner, zusammengeschrieben und herausgeschickt hat..."

Orbans Sammlung umfaßte auch "chinesische Bücher", die später in die Universitätsbibliothek München übergingen. Der Katalog von 1774 sagt: "Gegenwärtig fünf Bücher mit chinesischen Schriften hat P. Adam Schall, Missionar und Mandarin in China herausgeschickt."

Schalls Bücher - stellvertretend für die gesamte China-Mission des Jesuitenordens - sind Zeugnis hervorragenden fachlichen Könnens, gepaart mit der Bereitschaft, sich mit fremden Kulturkreisen ohne Arroganz auseinanderzusetzen und voneinander zu lernen und dieses humanistische Streben in den Dienst der Sache zu stellen: ein Erfolgsrezept, dem der Erfolg recht gab - auch wenn er zerstört wurde.

Gerd Treffer
Unser Bayern. Heimatbeilage der Bayerischen Staatszeitung
März 1985, Jahrgang 34 / Nr. 3, S. 20-22.


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