Ingolstädter Gelehrte in der China-Mission der Jesuiten
Im Ingolstadter Stadtmuseum finden sich Porträtbilder von Jesuiten in unerwarteter Gewandung: in chinesischer Mandarintracht.
Sie weisen auf ein passionierendes Kapitel der Ordensgeschichte hin: die China-Mission, in der auch die Ingolstädter Jesuiten eine besondere Rolle spielten.
Die China-Mission war keine Masseneinwanderung christlicher Verkünder.
Ihre Zahl war gering - ihre Wirkung in Relation dazu groß, dank herausragender Persönlichkeiten.
Erfolge basierten vordergründig auf den Leistungen der Patres in den profanen Wissenschaften - der Mathematik, der Kartographie, der Astronomie.
Als Gelehrte genossen die Ordensmänner Ansehen bei der chinesischen Oberschicht.
Wissenschaft wurde Vehikel der Verkündigung.
Gefragt war für einen China-Missionar fachlich-wissenschaftliches Können.
Daß unter den Sendboten des Okzidents maßgeblich Vertreter der Universitätsstadt Ingolstadt auftauchen, ist daher so verwunderlich nicht.
Die Bilder im Stadtmuseum zeigen Allessandro Valignano und Matteo Ricci.
Valignano (1539 bis 1606) war nach Franz Xaver der bedeutendste Organisator der asiatischen Mission im 16. Jahrhundert.
Mit 34 zum Visitator aller asiatischen Ordensmissionen ernannt, erhält er ausgedehnte Sondervollmachten.
Bis zu seinem Tod 1606 prägt er die Entwicklung der Mission in Indien, Japan und China.
Seine Reorganisation bedingt bald einen vermehrten Zustrom aus Europa.
Valignanos Bedeutung liegt vor allem darin, daß er der Bekehrung durch Feuer und Schwert wehrte.
Ricci (1552-1610) wollte zunächst die gebildete Klasse des Gastlandes durch Vermittlung der westlichen Wissenschaft und Eingehen auf die in China vorgefundenen Werte gewinnen.
Um die Jahrhundertwende gelang es ihm, sich in der Hauptstadt niederzulassen: Er wurde Direktor des kaiserlichen Observatoriums zu Peking.
Seine wissenschaftliche Tätigkeit bot ihm Kontakte, die dem immer bedrohten Wirken des Ordens Schutz versprachen.
So gilt er als eigentlicher Begründer der China-Mission, deren Oberer er ab 1597 war.
Die Bilder dieser beiden Männer waren in Ingolstadt präsent.
Unter Luthers großem Gegenspieler Eck war Ingolstadt zum Zentrum der Gegenreformation geworden.
Als Eck 1543 starb, drohte der Universität eine "theologische Lücke".
1549 berief deshalb der Bayernherzog die Jesuiten nach Ingolstadt.
Noch im November traten drei Vertreter des Ordens ihre Vorlesungen an.
Petrus Canisius, ein Niederländer, Alphons Salmeron, ein Spanier, und Claudius Jajus, ein Savoye.
Zwistigkeiten an der Universität
Die Jesuiten und die "anderen Professoren" vertrugen sich indessen schlecht:
1564 zum Beispiel sandte die Universität den Professor Nikolaus Everhard mit bitteren Vorwürfen zum Herzog.
Seine Instruktionen waren bissig und provozierend:
Ob die Jesuiten denn die Mehrheit im Senat erhalten sollten und - heilige Scheinheiligkeit - ob es nicht besser sei, die für den Himmel arbeitenden Jesuiten von der Last der Senatssitzungen und anderer Formalien zu befreien?
1571 schrieb die Universität an den Herzog, daß man von den Jesuiten entweder vertrieben oder versklavt werde.
Die Hintergründe waren freilich nicht immer allein weltanschaulicher Natur.
Gerstner bringt es in seiner alten Ingolstadt-Chronik auf den kürzestmöglichen Nenner:
"Diese lehrten unentgeltlich die Philosophie und schöne Wissenschaften zu allgemeiner Zufriedenheit, jene fanden sich dadurch an ihrem Einkommen verkürzt."
1573 kam es zu neuen Zwistigkeiten. Die Jesuiten zogen ab.
Doch: "Bald fühlten die Universität und die Stadt den Abgang der Jesuiten; die Zahl der Lehrer überstieg beinahe jene der Zuhörer, und schon nach zwei Jahren bat der akademische Senat um der Jesuiten Zurückberufung."
Das neue Kollegium war inzwischen vollendet. Die Jesuiten kehrten 1576 gestärkt zurück.
In Ingolstadt lag nun das Zentrum für die akademische Nachwuchsbildung der oberdeutschen Ordensprovinz, zu der auch Solothurn, Luzern und Fribourg in der Schweiz gehörten.
Während die angehenden Jesuiten meist in Landsberg das Noviziat machten, studierten viele in Ingolstadt.
Viele Patres waren an der Universität als Professoren tätig.
Dennoch wurde die erste bayerische Landesuniversität nie zu einer reinen Jesuitenuniversität.
Einige Jesuitenprofessoren erreichten hervorragenden Rang in der akademischen Welt ihrer Zeit.
Gregor von Valencia, dessen Ingolstädter Zeit von 1575-1597 dauerte, wird nicht zu Unrecht der bedeutendste deutsche Theologe im Jahrhundert nach dem Tridentinum genannt.
Aus seinem Schülerkreis stammt Jakob Gretser:
Seine Spannweite reicht vom Späthumanismus bis zur kämpferischen Gegenreformation, von linguistischen Arbeiten bis zu Streitschriften und Dramen.
Jakob Balde: Mit ihm stießen die Ingolstädter Jesuiten auf die literarische Ebene vor.
Das Ingolstädter Jesuitentheater, ein echtes Stück bayerischer Barockkultur, wurde zu einem entscheidenden Faktor bayerischer Theatergeschichte.
Neben die neulateinische Lyrik Baldes tritt sein historiographisches Werk.
Zuletzt, aber nicht als geringster, sei Christoph Scheiner genannt.
Mit seinem selbstgebauten Fernrohr hatte der Pater vom Turm der Hl.-Kreuz-Kirche die Sonnenflecken entdeckt (und war darüber mit Galilei in einen Prioritätenstreit geraten).
Die Neigung zu theologiefernen Studien, wie sie Scheiner zeigt, kam den Jesuiten in der Mission zugute.
Die Mission ging zunächst wesentlich von Portugal und Spanien aus.
Deutschland selbst war Neuland für die Jesuiten.
Erst 1556 hatte Ignatius eine eigene ober- und niederdeutsche Ordensprovinz errichtet; doch brachte man der auswärtigen Mission hier großes Interesse entgegen.
Canisius, erster Provinzial der oberdeutschen Provinz, las eifrig die einlaufenden Missionsbriefe, erklärte sich auch selbst bereit, nach Indien zu gehen.
Einige Missionare aus seiner Provinz bot er dem Generalvikar des Ordens, Salmeron, an.
Immer wieder baten einzelne um Entsendung.
So schrieb Markus Graff aus Ingolstadt am 3. März 1568 an Aquaviva, das Verlangen, Indien zu helfen, beschäftige ihn so lebhaft, daß er dringend um einen Ruf des Gehorsams nach Indien bitte.
Der General beschied, die Leutenot sei in Deutschland zu groß; Graff möge sein Verlangen nach Arbeit und Opfer ganz auf Deutschland richten.
Aber Eifer und Begeisterung für Indien, das heißt, die überseeischen Missionen, erloschen bei den deutschen Jesuiten nicht.
Immer wieder wurden sie angefacht durch Berichte, die schon im 16. Jahrhundert in Dillingen, Ingolstadt, München und Augsburg in deutscher und lateinischer Sprache erschienen.
Kurz nach Riccis Tod, 1610, ging der Belgier P. Trigault nach Europa - auf dem Landweg übrigens, von Goa aus.
Seine Berichte erregten großes Aufsehen an den Höfen Europas und schürten die Missionsbegeisterung.
1616 besuchte Trigault auch Deutschland und rief besonders bei den studierten Jesuiten Begeisterung wach.
Allein in Ingolstadt meldeten sich vierzig Professoren und Studenten für die China-Mission.
Vier Ingolstädtern wurde die Abreise gestattet.
Frohlockend in die fernsten Länder
Die Geschichte des Ingolstädter Kollegs berichtet zum Jahr 1616:
"Von den 142 Bewohnern dieses Kollegs waren vier, welche von großem Seeleneifer für Indien entbrannt, nach vielen Bitten beim P. General als die ersten aus diesem Kolleg und dieser Provinz nach Indien geschickt worden.
Unter den Glücks- und Segenswünschen des Kollegs brachen sie am 8. Februar 1616 auf:
Andreas Agricola nach Paraguay, Kaspar Rueß, Ferdinand Raiman und Michael Durst nach Peru.
Zu diesen kam im folgenden Jahr für die chinesische Mission Johann Albericus."
Ein Fr. Johann Irling schrieb aus Ingolstadt am 24. Januar 1616 an den P. General Motius Vitelleschi:
"Es ist unglaublich, mit welchem Jubel die außerordentliche, am 23. Januar hier eingelaufene Botschaft Ew. Paternität, durch welche vier aus den vielen trefflichen jungen Leuten dieses Hauses für die Reise nach Indien bestimmt und ausersehen wurden, das ganze Kolleg erfüllt hat.
0 ewig denkwürdiger Tag!
Die Oberen sahen sich gezwungen, bezüglich der Regel des Stillschweigens ein Auge zuzudrücken, damit die überströmenden Gefühle des Herzens einen Ausweg fänden ..."
Die Missionsbegeisterung war in Ingolstadt nicht ungeteilt.
Der selige Pater Jakob Rehm soll auf die Kunde von der Abreise jener fünf ersten Missionare bemerkt haben:
"Warum gehen sie in jene entlegenen Länder?
Die Zeit ist nahe, wo wir in Deutschland selber ein Indien haben werden, für welches die Zahl der Arbeiter, die jetzt in der Provinz sind, nicht ausreichen wird."
Den Ingolstädtern waren unterschiedliche Schicksale beschieden:
Albericus starb auf dem Weg nach China.
Die Missionsbegeisterung bei den Zurückgebliebenen ließ jedoch nicht nach.
George Balde, ein jüngerer Bruder des großen Jesuiten-Dichters, macht sein geringes Alter geltend:
So könne er leichter die arabischen, indischen, japanischen Sprachen lernen, schreibt er am 5. März 1634.
Sein Verlangen geht nach der Märtyrerpalme.
Sein Studiengenosse Staudacher übersendet dem General am 12. Oktober 1634 sein mit dem eigenen Blute geschriebenes Gelübde für die indische Mission.
Auch Jakob Balde selbst wäre gerne in die Mission gegangen.
Sein Biograph Bach meint: "Besonders tief und nachhaltig war in ihm der Wunsch, Missionar zu werden.
In dem herrlichen Säkulargesang, den er 1640 auf den hundertjährigen Bestand des Jesuitenordens dichtete, hebt er mit hinreißendem Hochgefühl die Missionstätigkeit desselben, gewiß die edelste Blüte in seinem Ruhmeskranze vor aller Welt, hervor.
Man fühlt es diesen Strophen an, daß er frohlockend in die fernsten Länder gezogen wäre..."
Der jüngere Balde und Staudacher stehen hier nur als Beispiel für die vielen Ordensmitglieder, die ihren Wunsch, in die Mission gesandt zu werden, bekundeten.
"Zeige Du China die Sterne"
Da der General nicht allen Bittstellern antworten kann oder will, schreibt er am 10. Juni 1634 an den Rektor von Ingolstadt, Johann Glückh, daß ihn die vielen Briefe - er nennt die Namen von 16 Schreibern - außerordentlich gefreut hätten; leider könne er jedoch den Wünschen nicht entsprechen.
Pater Alberich war der Seeweg nach China zum Verhängnis geworden.
Er sollte nicht der letzte meerbestattete Ingolstädter Jesuit sein.
Ausgangspunkt der Seereisen in die Mission war Lissabon (für die portugiesischen) oder Sevilla und ab 1720 Cadix (für die spanischen Niederlassungen).
Diese Hafenorte waren mithin erstes Etappenziel der Missionare.
Für Süddeutsche bedeutete das gewöhnlich den Weg über Tirol, quer durch Norditalien nach Genua und von dort auf meist englischen oder französischen Schiffen in die genannten Häfen.
Manchmal mußten sie sich dort ein bis zwei Jahre gedulden.
Der Weg nach China ging gewöhnlich über Moçambique (wo überwintert wurde), dann Goa, was die Reise erheblich verzögerte.
Später hielt man von der Südspitze Afrikas auf die Sunda-Inseln zu und zwischen ihnen hindurch nach Macao, was ein halbes Jahr Zeitersparnis brachte.
Auf der alten Route dauert die Strecke Lissabon Macao bis zu 370 Tage, auf der neuen manchmal nur 170.