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Frühe Fayencegefäße
aus der ehemaligen Stadtapotheke in Ingolstadt

Sensationeller Fund in der Moritzstraße 17

Frühe Fayencegefäße aus der ehemaligen Stadtapotheke in Ingolstadt

Dass in Ingolstadt die frühesten datierten, eindeutig fachspezifisch beschrifteten Fayencen in Deutschland gefunden wurden, ist ein wichtiger Gewinn für unsere alte Universitätsstadt und unterstreicht deren Bedeutung. Der Fund, der den bisherigen Bestand an frühen Fayencegefäßen in Deutschland auf einen Schlag nahezu verdoppelt, wird von Dr. Endres (Bayer. Landesamt für Denkmalpflege), einem der, wenn nicht dem besten Kenner spätmittelalterlich/neuzeitlicher Keramik, als echte Sensation gewertet.

Im Sommer 2002 wurde das Haus Moritzstraße 17, ein Wohngebäude der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Zentrum der Altstadt, entkernt und die westlich daran anschließende Bebauung abgebrochen. Das Interesse bei den Ausgrabungen, die der Neubebauung vorausgehen mussten, galt vor allem den zu erwartenden, frühstädtischen Befunden unter dem repräsentativen spätmittelalterlichen Gebäude. Seine herausragende städtebauliche Lage beim Rathaus ließ auf wohlhabende Erbauer schließen. Im 18. Jahrhundert war in dem Gebäude die älteste, erstmals 1463 erwähnte Apotheke der Stadt untergebracht. Ab 1760 unterwies hier Georg Ludwig Claudius Rousseau Studenten der Landesuniversität Ingolstadt. Sein kurfürstlicher Lehrauftrag, einer der ersten amtlichen für die pharmazeutisch-akademische Lehre in Deutschland, steht am Beginn des Pharmazeutischen Instituts der heute in München beheimateten Universität.

Nach Abschluss der Ausgrabungen begann umgehend die Restaurierung des umfangreichen Fundgutes im Stadtmuseum. Sie wird durch die ehrenamtliche Unterstützung des Historischen Vereins Ingolstadt ermöglicht. Wichtigstes Ergebnis sind eine stattliche Anzahl früher Fayencegefäße, die aus dem stark zerscherbten Fundgut eines Abfallschachtes hinter dem Wohngebäude stammen. Die erste Würdigung des Fundes ist dem renommierten Keramik-Spezialisten Herrn Dr. Werner Endres (Regensburg) zu verdanken. Er wird zusammen mit der Direktorin des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt, Prof. Dr. Dr. Christa Habrich, auch die spätere Bearbeitung der Fayencen übernehmen. Den historischen Hintergrund des Fundes wird Dr. Beatrix Schönewald, Direktorin von Stadtarchiv und Stadtmuseum Ingolstadt, untersuchen.

Frühe Fayencen zählen zu den extrem seltenen Fundobjekten. Fasst man die datierten Objekte deutscher Produktion der Zeit vor 1600 zusammen, kommt man auf rund 30 bis 40 Objekte. Herkunft und Fundorte dieser Gefäße sind meist unbekannt. So muss man bei den 20 bis 30 frühen Fayencegefäßen aus Ingolstadt von einem wirklich sensationellen Neufund sprechen. Nach unterschiedlicher Form und Bemalung ist er zumindest in zwei Serien zu unterteilen, die eine eindeutig pharmazeutische Verwendung beweisen:

Erstens eine Gruppe, die durch die aufgemalte Jahreszahl "1571" datiert ist. Es sind zum großen Teil eindeutig pharmazeutisch beschriftete Standgefäße (z.B. "Zingib. conc./cond."/geschnittener oder kandierter Ingwer) und Krüge (z.B. "Cicho..."/ "Zichorienwurzel"). Die Krugform deutet auf dickflüssigen bis trockenen Inhalt hin. Die zweite Gefäßform ist von ganz einfacher Struktur: zylindrische bis ganz leicht gebauchte Topfform mit leicht einziehendem Fuß, kurzem Hals und horizontal spitz zulaufendem Binderand. Die pharmazeutisch beschrifteten Gefäße (Schriftband) mit kartuschenmäßig gerahmtem Bildmotiv dieser Gruppe 1 sind in einer dünnen Pinseltechnik in Kobaltblau (mit Mangananteilen?) dekorativ flächig verziert. Die Krüge zeigen links und recht neben einem römischen Kriegerkopf die Jahreszahl "15 - 71". Ein anderes Motiv zeigt ein jugendliches männliches Halbbildnis mit gelocktem Haar, begleitet links und rechts von einer (stehenden!) Traube (ein Bacchus-Motiv?). Auf der Abbildung handelt es sich um die Gefäße 2, 3 und 5 (von links). Diese Gruppe wirkt in jedem Fall älter als Gruppe 2.
Fayencegefäße. Foto: Gerd Welker
Der etwas größere Formenschatz der 2. Gruppe zeigt wohl die gleichen Grundformen, jedoch mit einer deutlich "entwickelteren" Ausformung. Die Gießgefäße ("Rohrkannen") sind deutlich kleiner als die Krüge der Gruppe 1. Diese Kannen haben eine grundsätzlich andere Struktur: hoch gebauchte Wandung, langes schulterständiges Rohr, diametral zu einem kräftigen wulstigen Henkel mit glatter Angarnierung. Diese Grundform bleibt bis weit in das 18./19. Jahrhundert eine Grundform flüssiger Pharmazeutika. Die Standgefäße zeigen im Gegensatz zur Gruppe 1 (Abbildung Gefäß 5) eine deutliche Bauchung. Eine Beschriftung ist nicht zu erkennen. Der Dekor unterscheidet sich von Gruppe 1 durch den breit angelegten, routiniert hingeworfenen Pinselauftrag und ein breites, dreisprossartiges, sich wiederholendes Blattmuster. Die "leeren" Blattkartuschen auf den Rohrkannen sind, wie häufig fachüblich, nicht unter dem Ausguss, sondern rechts und links davon angeordnet. Daraus resultiert auch die quer orientierte Aufstellung in den Regalen. Die Flüchtigkeit des Malauftrags bei Gruppe 2 belegt die Routine einer Alltagsproduktion, es ist keine hervorgehobene Ausführung.

Derzeit gibt es noch keine verlässlichen Hinweise auf den Produktionsort dieser sehr frühen, wohl deutschen Fayencen. Daher ist auch bei dem Ingolstädter Bodenfund zunächst bei der Zuschreibung allergrößte Vorsicht geboten. Die Begleitfunde, darunter eine "Creußener Flasche" (Steinzeug), die nicht vor die Mitte des 17. Jahrhunderts datiert, sowie Schmelztiegel mit Marken der Zeit zwischen ca. 1610/20 und ca. 1700/1750, beweisen, dass die Gefäße erst deutlich später in den Abfall gerieten, als die "1571" datierten Anteile zunächst andeuten.

Es handelt sich um die früheste datierte, eindeutig fachspezifisch beschriftete Fayence in Deutschland. Für die Stadt Ingolstadt, über Jahrhunderte Sitz der bayerischen Landesuniversität, heute des Deutschen Medizinhistorischen Museums, ist der sensationelle Fund aus der ehemaligen Stadtapotheke eine wichtige Bereicherung.

Dr. Gerd Riedel, Dr. Werner Endres
IN Newsletter vom 24.01.2004


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