Die Bürgerkongregation Maria de Victoria
- 1612 wurde zu den bestehenden akademischen Bruderschaften in Ingolstadt eine Bürgerkongregation Maria de Victoria gegründet.
Obwohl die Jesuiten ursprünglich auch bei den bürgerlichen Kongregationen eher an eine Elitebildung gedacht hatten, erfuhr diese Sodalität einen unglaublichen Zulauf, wie ihn teilweise nur noch München verzeichnen konnte.
Ignaz Dominikus Schmid schrieb im 18. Jahrhundert darüber: »Und ist es gleichsam ein Bürger und Sodalis seyn allhier ein Ding, als wan in dieser vösten Stadt keiner Bürger seyn könnte, er wäre dan in der Bruderschafft Mariae de Victoria«.
Mitgliederzahlen
- Die Mitgliederzahlen sprechen für sich: Bei Gründung 33, 1649 bereits etwa 1000, gut zwanzig Jahre später im Jahre 1671 mit 1900 schon fast das Doppelte.
Diese ungewöhnliche Entwicklung ist sicherlich zum einen unter dem Aspekt der starken Präsenz der Jesuiten in Ingolstadt zu sehen, entsprach natürlich auch einer allgemeinen, marianisch geprägten Frömmigkeitshaltung schlechthin, dürfte aber auch als Reaktion des bürgerlichen Selbstverständnisses auf eine zu Beginn des 17. Jhs als dominant empfundene Ausprägung und Präsenz der akademischen Kongregationen zurückzuführen sein.
Vorstand
- Die Kongregation war den allgemeinen Gepflogenheiten gemäß unter die geistliche Leitung eines Jesuiten (Präses) gestellt und sollte von einem bürgerlichen Vorstand verwaltet werden.
Dieser setzte sich zusammen aus einem Praefecten, zwei Assistenten, 18 Konsultores sowie einem Sekretär.
Zwar sollte den Statuten zufolge bei dieser »Zahl es sein ohnabänderliches Verbleiben fördershin haben«, doch war aufgrund der ungeahnten Entwicklung offenbar nicht nur eine Ausweitung der Zahl der Konsultores für notwendig erachtet worden (teilweise bis zu 50), man setzte zusätzlich einen Procurator (Geschäftsführer), einen eigenen Bibliothecarius, Sacristanus, Chori-Regens (Chorregenten) sowie 4 Lektoren ein.
Daß der Vorstand oft mit Mitgliedern des Ingolstädter Rates, dem Stadtrichter und anderen bedeutenden Bürgern besetzt war, unterstreicht den repräsentativen Zuschnitt der Kongregation.
Finanzgeschäfte
- Der immense Zulauf zur Bürgerkongregation blieb aber nicht immer ohne Probleme, insbesondere der Pfarrherr der Oberen Pfarrkirche, zugleich Repräsentant der Universität, sah die seelsorgerischen und finanziellen Erfolge der Jesuiten und ihrer Kongregationen zuweilen mit Mißbehagen.
Was der Kongregation an Stiftungen und Zuwendungen von Seiten der Bürger zufloß, mußte - zumindest teilweise - ihm ja fehlgehen.
- So ernannte der Bischof von Eichstätt, dem seit der päpstlichen Konstitution aus dem Jahre 1604 die Bruderschaften unterstellt waren, 1648 den Pfarrer der Liebfrauenkirche, Professor Benz, zum Kommissar der Bruderschaft. Diesem sollte über die Finanzgeschäfte der Kongregation Rechenschaft abgelegt werden.
- Zwar hatte der Bischof sein Wohlgefallen über die Entwicklung der Sodalität ausgesprochen und auch die geistliche Leitung der Jesuiten ausdrücklich bestätigt, gleichwohl aber seine Sorge in finanziellen Angelegenheite im Erlaß von neuen Richtlinien deutlich artikuliert:
- »Der Gottesdienst der Kongregation darf zeitlich nicht mit dem Pfarrgottesdienst zusammenfallen;
- neue Andachten sollen nicht ohne Vorwissen und Rat des Kommissars eingeführt werden;
- die Angehörigen von verstorbenen Sodalen, besonders von minderbegüterten, sind zu mahnen, nicht so viel Aufwand für Musik und Gesang beim Leichengottesdienst in der Kongregation zu machen, damit sie auch noch etwas für die Exequien in der Pfarrkirche verwenden können. Die Vermögensverwaltung wird bei der Kongregation bleiben, nur soll der Kommissar bei der jährlichen Rechnungsablage zugegen sein und seinen etwaigen Mahnungen Gehör gegeben werden«.
Schlüsselgewalt
- Ein im Ordinardiatsarchiv in Eichstätt erhaltenes Inventarverzeichnis aus dem Jahre 1667 dokumentiert den in den ersten Dezenien ihres Bestehens durch Schenkungen zugewachsenen Reichtum der Kongregation.
Der vom Bischof eingesetzte Kommissar war dann 100 Jahre später zum Vermittler zwischen den Bürgern in der Kongregation und der jesuitischen Leitung aufgerufen.
- Anlaß war ein seit Anfang des Jahrhunderts schwelender Streit über die Schlüsselgewalt für die Kongregationskasse.
Die Bürger wollten die Temporalien der Kongregation vor einem eventuellen Zugriff durch die Jesuiten schützen, das Jesuitenkolleg hinwiederum war ohne Überlassung eines Schlüssels für die Kasse nicht gewillt, das Präsesamt zu besetzen.
- Da der Kommissar die Auseinandersetzung nicht schlichten konnte, ordnete der Eichstätter Bischof 1758 an, daß der Kommissar, Pfarrer Dr. Balthasar Ecker »der zween Schiesslen, so von ausen das Gelttrüechlein aufspehren, einem das P. Praesidi, den andern dem ersten Assistenti, die übrige den Praefecto« aushändigen sollte.
Bau des Oratoriums
- Wie vermögend die Kongregation war, unterstreicht der bald nach der Gründung angestrebte Bau eines eigenen Oratoriums.
Voller Stolz wurde besonders hervorgehoben, daß es, "ohne über gesparte Mittel zu verfügen, begonnen wurde" und daß auch "eine wunderbare Freigebigkeit von Mäzenaten" gegeben war.
1617 hatte man bei Herzog Maximilian die Genehmigung für den Bau erwirkt, der Bischof von Eichstätt konnte daraufhin seine Einwilligung nicht verweigern.
In unverhältnismäßig kurzer Zeit war der Bau - südlich und unweit des Liebfrauenmünsters neben dem heutigen Poppenbräu gelegen - vollendet (Grundsteinlegung am 13. März 1618, Konsekrierung am 14. Juli 1619).
Bis dahin hatte man die Zusammenkünfte der Bruderschaft in der Georgskapelle in einem dem Kloster Kaisheim gehörenden Haus am alten Kornmarkt (heute Schäffbräustraße) abgehalten.
Eine Fassaden- wie Innenansicht des während der Säkularisation profanierten Oratoriums ist in zwei kleinen Kupferstichen aus dem Ende des 18. Jahrhunderts erhalten.
1800, Kirchenschatz
- Nachdem die akademische Kongregation 1800 mit der Universität nach Landshut verlegt worden war, übertrug Kurfürst Max IV. Joseph den exsekrierten Saalbau dieser Bruderschaft 1803 in das Eigentum der Stadt, die wiederum ein Jahr später dieses Oratorium der Bruderschaft Maria vom Sieg für deren Zwecke überließ.
Nur weniges aus dem ungeheuren Kirchenschatz der Kongregation hat sich erhalten, ein Großteil fiel der Säkularisation zum Opfer.
Den noch erhaltenen Bruderschaftsbesitz überragt dabei zweifelsohne die weltberühmte Lepanto-Monstranz, die von dem Augsburger Goldschmied Johannes Zeckl im Jahre 1708 geliefert wurde und deren Bezahlung selbst die begüterte Bürgerkongregation vor Probleme stellte: Die letzte Rate wurde erst 1713 beglichen.
Pflichten
- Die Mitglieder der Kongregation waren durch die Statuten vor fest umrissene religiöse Anforderungen gestellt, die von den Jesuiten vorgegeben und überwacht wurden.
Außer der lebenslang gültigen absoluten Angelobung an die Muttergottes verlangte man von den Mitgliedern, daß sie mindestens an den kirchlichen Hochfesten Ostern, Pfingsten, Maria Himmelfahrt, Allerheiligen und Weihnachten sowie zu Beginn der Fastenzeit die Beichte ablegen, daß sie täglich morgens und abends je fünf Vaterunser und Ave Maria, wöchentlich einmal den Rosenkranz beten, fleißig den Versammlungen und Gottesdiensten der Bruderschaft beiwohnen und sich besonders durch ein frommes Leben auszeichnen sollten.
Die Mitglieder sollten "durch christliche Liebe einander brüderlich zugetan sein, in Krankheiten und Not beistehen, trösten und helfen und die Verstorbenen betend zum Grabe begleiten".
Mitglieder
- Neben vielen namhaften Ingolstädter Bürgern im 17. und 18. Jahrhundert gehörten auch zahlreiche geistliche und weltliche Repräsentanten aus Bayern der Kongregation Maria de Victoria an.
Als Beispiele mögen genügen: Kurfürst Maximilian, Feldherr Graf Tilly, Fürstbischof Johann Anton von Knebel zu Katzenellenbogen oder Bischof Franz Ludwig Schenk von Castell.
Während sich die Spuren der akademischen Kongregation nach 1800 verlieren, blieb die bürgerliche Bruderschaft, wenngleich auch in den beiden letzten Jahrhunderten mit einer wechselhaften Geschichte behaftet, bis heute bestehen.
- Batz, Karl. Die Marianischen Kongregationen in Ingolstadt.
- Die Jesuiten in Ingolstadt, 1991, S. 210-212.
- Siehe auch:
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