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Deutsche Goldschmiedekunst
Ausstellungen im Stadtmuseum Ingolstadt 1988 und 1992

 
 
Versuch über deutsche Goldschmiedekunst

Erik Dr. Forssman
Schätze deutscher Goldschmiedekunst, 1992, S. 11-44.

(S.12)"Traditionsbewahrend ... wirkten die Vorschriften für das Meisterstück": Ring, Siegel und Pokal. "In Nürnberg sollte es ein Akelei-Pokal sein, für den seit spätestens 1573 ein Modell existierte, dem der Geselle nachzueifern hatte. Auch gestochene Vorlagen für Pokale gab es, ...
Das Treiben einer runden Cuppa mit Buckeln und spitzen Graten war eine vom Material diktierte Fertigkeit, welche der Geselle erst einmal beherrschen mußte, ehe er an anderen Gegenständen die eigene Phantasie walten lassen konnte."
Auch in Augsburg mußte ein Pokal angefertigt werden, allerdings mehr renaissancehaft aufgebaut; das Meisterstück in Berlin war ein Trinkgefäß, ebenso in Hamburg.

Arbeiten nach Vorlagen
(S.13:)"... die Benutzung fremder Vorlagen darf man sich im Goldschmiedehandwerk nicht als Kopierarbeit vorstellen, vielmehr handelte es sich in fast jedem Falle darum, einen Bildgegenstand, etwa nach einem graphischen Blatt, in ein anderes Medium zu übertragen, was fast immer eine Neuschöpfung bedeutete." (S.16:) Der Künstler hat auf Impulse reagiert.
(S.18:)"Als Hilfe bei der Herstellung zeitgemäßer Kleinplastiken boten sich ... seit der Dürerzeit graphische Vorlagen an," etwa ein Straßburger Buch von 1538. Es enthält Holzschnitte von Köpfen, Helmen, Waffen usw.
Entscheidend für die Qualität des Gefäßes war immer die Treibarbeit, das harmonische Verhältnis der Teile zum Ganzen und die »Reinlichkeit der Behandlung«."
Ausführungen nach eigenen Entwürfen fertigten wohl Wenzel Jamnitzer und seine Dynastie.

Silberplastik
(S.19:)"Bei Pokalen, die besonders prächtig ausgestattet werden sollten, gewannen im 16. Jh. die gegossenen Appliken und Statuetten an Bedeutung.
An die Stelle von Schaft und Nodus trat dann die vollrunde Tragefigur, vorzugsweise wenn auch die Cuppa aus kostbarem Material war. Nautilusmuscheln wurden oft von einem gegossenen Poseidon, von Tritonen oder Nereiden getragen ..."

Reiterstatuetten von Gustav Adolf "müssen kurz vor oder kurz nach dem Heldentod des Königs entstanden sein." Zwischen 1630 und 1634. (S.20:) Später konnten sie immer noch mit einem anderen Kopf versehen und umgewidmet werden. Das Schlachtroß hatte Leonardo nach antikem Vorbild in die Kunst der Renaissance eingeführt.

"Die silbernen und vergoldeten Heiligenbilder sind gewissermaßen Parallelerscheinungen zur Plastik in Holz, Stein und Stuck."
Strahlenmonstranz: Die Monstranz wurde "im Mittelalter in Analogie zum Reliquiar gestaltet, erst der Barock fand eine eigene Form ..."

silberne Gefäße
(S.23:) Die Form des Abendmahlskelchs festigte sich im 13. und 14. Jh. Bei den Trinkgefäßen sind der glattwandige Becher und der Pokal zwei mittelalterliche Grundtypen.
"Der Pokal ist im späten Mittelalter an der Cuppa, meist auch an Fuß und Deckel mit Buckeln geziert, ... Er erweckt den Eindruck eines organischen Gebildes, das noch weiter über sich hinauswachsen könnte. Dazu trägt auch das trockene Laubwerk bei, welches meistens an Fuß und Schaft raschelt. ...
Dieser Buckelpokal ist vor allem in Nürnberg in vielen Varianten gefertigt und von dort aus verbreitet worden. Und in Nürnberg hat er sich auch zuerst einer Wandlung unterziehen und dem Geschmack der Neuzeit anpassen müssen."
(S.24:) Der Pokal der Renaissance taucht in den 1540er Jahren auf. Er ist "noch deutlicher horizontal geschichtet als der neuzeitliche Buckelpokal, und vor allem sind die Verhältnisse der einzelnen Teile zueinander und zum Ganzen harmonisch ausgewogen."

Scherzgefäße
(S.31:) In der 2. Hälfte des 16. Jhs und bis zum Dreißigjährigen Krieg wurde an fürstlichen und gewissen bürgerlichen Tafeln unmäßig gegessen und getrunken. Die Trinkgefäße waren auffallend voluminös.
· Sturzbecher mußte man in einem Zuge lehren.
· Jungfrauen- oder Hochzeitsbecher, aus denen Braut und Bräutigam gleichzeitig trinken mußten.
· Trinkspiele, "die sich mittels einer unsichtbar eingebauten Mechanik auf der Tafel fortbewegen konnten und von demjenigen geleert werden mußten, vor dem sie stehenblieben."
· Tiergefäße, als originelle Tischdekoration oder zum Gießen.
(S.32:) "Nach dem Dreißigjährigen Krieg kamen tiergestaltige Trinkgefäße aus der Mode. Die Trinksitten änderten sich, Wein trank man mäßiger und folglich aus kleineren Bechern oder Gläsern. Bier wurde nach wie vor in großen Mengen konsumiert, und wenn es bei festlichen Anlässen auf den Tisch kam, wurde es statt aus Steingutkrügen aus silbernen Humpen getrunken."

Stilfragen
(S.32:) "Für die allgemeine Kunstwissenschaft sind Stilfragen nicht mehr von erstrangiger Bedeutung. Statt von Renaissance und Manierismus spricht man in Bezug auf die deutsche Kunst lieber vom »Zeitalter zwischen Reformation und Dreißigjährigem Krieg«."
(S.36:) Nach dem Krieg erfolgte der "Aufstieg Augsburgs zum größten und tonangebenden Silberproduzenten für das mittlere und nördliche Europa. »Augsburg« wurde für die Jahrzehnte um 1700 zum Inbegriff, ja zum Stilbegriff für zeitgemäße Silbergegenstände, auch wenn sie in Hamburg oder Stockholm hergestellt waren."
Augsburger Stil: Akanthuslaub, kleine Putten usw.
Schweden stieg vorübergehend zur Großmacht auf. Deutsche Goldschmiede wanderten nach Schweden aus.
(S.37:) "Im Norden gab es zeitweise eine Gegenposition zu dem reichen Barock der Augsburger und Nürnberger Goldschmiedekunst." Der Deckelhumpen war in der Nachkriegszeit im Norden populärer.

18. Jh.
(S.38:) Die Goldschmiede müssen sich "neuen Bedürfnissen und immer schneller wechselnden Moderichtungen anpassen, die im ganzen 18. Jh. hauptsächlich von Paris diktiert werden.
An erster Stelle ist die Einführung der neuen Getränke Kaffee, Tee und Schokolade zu nennen." Sie mußten passende Gefäßformen finden. "Ein Austausch getränkespezifischer Gefäßformen aus Silber und aus Porzellan war unvermeidlich. ... Auf die Dauer siegte ... auf der Kaffeetafel das Porzellan."
Bis über die Mitte des 18. Jhs herrschten auch in Augsburg das Rokoko und die Rocaille.
Im 18. Jh. bürgerte sich das »Service« ein, "das heißt Teller, Schalen, Terrinen, Saucièren, Tassen et cetera wurden jetzt einheitlich dekoriert und demonstrierten Wohlstand in Serie." Tafelaufsätze setzten Akzente auf dem gedeckten Tisch.

2. Hälfte 18. Jh.
(S.39:) "Dem lässigen und frivolen Geschmack der Rokokogesellschaft traten Aufklärer und Klassizisten entgegen und propagierten die moralische Überlegenheit der Antike."
Römisch-republikanische Tugenden; Klassizismus.
Zierrat und Vergoldung wurden nur noch sparsam eingesetzt und das blanke Silber zur Geltung gebracht.

19. Jh.
"Im viel gescholtenen Zeitalter der Restauration existierten Klassizismus, Neugotik, Idealismus und Romantik nebeneinander.
Es wurde in Deutschland von einem gebildeten Bürgertum getragen und von Künstlern, die dessen Erwartungen zu erfüllen wußten."
Karl Friedrich Schinkel am preußischen Hof.
Gewerbefreiheit (in Preußen 1810); industrielle Serienfabrikation.
Die Handwerker wurden zu Produzenten.

deutsche Goldschmiedekunst
(S.40:) "Kenntnis von den neuesten Tendenzen in den führenden Goldschmiedezentren Europas erwarben die deutschen Silberarbeiter nicht nur durch die überall zirkulierenden graphischen Vorlagen, sondern auch durch Gesellenwanderungen."

Nationale Besonderheiten:
"Aus Italien kamen Akanthus und Grotteske, aus Frankreich das Rollwerk mit manieristischen Figuren, aus Deutschland das Kleinmeisterlaub, aus den Niederlanden das Knorpelwerk."
(S.41:) Rokoko: Die Rocaille und die mit ihr geschmückten Geräte sehen fast überall gleich aus.
Kunstlandschaft: "... der Ort, an dem über einen gewissen Zeitraum hinweg förderliche Bedingungen für die Herstellung von Kunstgegenständen und für die Entstehung eines Kunstmarktes von mehr als lokaler Bedeutung geherrscht haben. Lübeck, Nürnberg und Augsburg waren zeitweilig solche Orte."
"Im deutschen Sprachgebiet gab es neben- und nacheinander mehrere Kunstlandschaften mit mehr oder weniger markanten Merkmalen."
(S.41:) "In Italien zum Beispiel spielen die bildenden Künstler eine prägende Rolle für die hervorragendsten Werke der Goldschmiedekunst und rücken sie in die Nähe der großen Skulptur.
Englische Silberarbeiten meint man an ihrer Schlichtheit und ernsten Schwere zu erkennen, die wenig durch Treibarbeit verziert wird, französische an ihrer höfischen Eleganz.
Und deutsche?"
In Deutschland hat der Pokal eine dominierende Rolle gespielt wie sonst nirgends in Europa. Er blieb stets aktuell, weil er "eine realistische Funktion als Willkomm zu erfüllen hatte. Von dieser gesellschaftlichen Rolle des Pokals leitet sich ganz natürlich seine symbolische Rolle als Ehrengabe oder Belohnung ab.
Dies gilt für den bürgerlichen Pokal, von fürstlichen Auftraggebern wurde er als ein Aufmerksamkeit erregender Solitär verstanden, ...
Man hatte ihn am liebsten mit einem Korpus aus exotischem Material ... kostbar gefaßt." Besonders in Nürnberg entstanden die extremsten Beispiele.
Die wunderlichen Trinkgefäße und tiergestaltigen Pokale avancierten nur in Deutschland zu einer Sonderart.
Tischbrunnen, Tafelaufsätze, Trinkspiele.
Augsburger Silberarbeiten des Barock: "In solch exzessiver Fülle ist der barocke Akanthus in keinem anderen Land gepflegt worden."

Zusammenfassung
(S.42:) "Deutsche Goldschmiedekunst ist durch mehrere Kunstlandschaften (Produktionsstätten) geprägt und weist deshalb eine ungewöhnliche, manchmal verwirrende Mannigfaltigkeit auf.
Die sozialen Funktionen, die das deutsche Silber zu erfüllen hatte, waren breiter gefächert als in Ländern, in denen die bürgerliche Gesellschaft keine so formalisierte Repräsentation entwickelt hatte (Ratssilber, Zunftsilber, Schützensilber).
Der Mannigfaltigkeit der deutschen Goldschmiedekunst steht ein hartnäckiges Festhalten an wenigen Gefäßtypen gegenüber, die ihre Wurzeln im Spätmittelalter hatten und diese Herkunft lange nicht überwinden konnten (der Pokal).
Aufgewogen wurde diese retardierende Tendenz durch eine Neigung zum Naturalismus, zum Phantasieren und Erzählen ...
Dabei wurde die Gefahr, ins Banale oder Geschmacklose zu verfallen, nicht immer erkannt, wohl auch etwas typisch Deutsches (Münzgefäße).
(S.42:) Die allgemeinste Eigenschaft der deutschen Goldschmiedekunst könnte man vielleicht als »malerisch« bezeichnen, wenn man darunter die Oberflächenbehandlung durch hohe Treibarbeit versteht (Augsburger Akanthus) und die Betonung der optischen Qualitäten gegenüber den plastischen, wie sie dem italienischen Silber eignet. ..."
(S.43:) "Der Dreißigjährige Krieg, ein deutsches Schicksal, teilte die Goldschmiedekunst in zwei deutlich voneinander geschiedene Epochen.
Im 16. Jh. nach Dürer und bis zum Kriegsausbruch, im Zeitalter des Manierismus also, zeigte die bildende Kunst in Deutschland unverkennbare Ermüdungserscheinungen, während die Goldschmiedekunst gleichzeitig einen ganz eigenen Charakter entwickelte.
Nach dem Krieg stellte sich das Identitätsproblem anders, weil der internationale Absolutismus, von Paris ausgehend, die Führung übernahm und die bürgerliche Goldschmiedekunst, welche gerade in Deutschland die schönsten Leistungen erbracht hatte, erst einmal in den Schatten stellte."


 

Wanderwege deutscher Goldschmiedegesellen

Ursula Timann
Schätze deutscher Goldschmiedekunst, 1992, S. 61-67.

(S.61:) "Das Wandern gilt als typisch deutscher Handwerksbrauch, der in anderen europäischen Ländern nicht gepflegt wurde. ...
Doch bis in die zweite Hälfte des 16. Jhs war das Wandern im allgemeinen nicht obligatorisch."
Es muß angenommen werden, "daß der Sinn des Wanderzwangs primär nicht die Weiterbildung und der Erwerb von Welterfahrenheit war, sondern daß eher soziale Spannungen, bedingt durch drohende Erwerbslosigkeit wegen des Überangebots von Arbeitskräften an einem Ort, abgebaut oder kaschiert werden sollten."
(S.62:) In einigen Städten jedoch "wurde nur die Mindestanzahl der Jahre vorgeschrieben, die der angehende Meister am Ort verbracht haben mußte."
"Wahrscheinlich wurden vornehmlich die wichtigsten Goldschmiede-Städte des Reiches aufgesucht."
(S.63:) "Es ist davon auszugehen, daß gewöhnlich jeder ehrgeizige Goldschmied einige Jahre auf Reisen gegangen ist, um neue Kenntnisse zu erwerben, unabhängig davon, ob er durch die Handwerksordnung dazu verpflichtet war oder nicht."
Größere Wanderungen wurden auch als besonderes Qualifikationsmerkmal gewertet.
(S.65:) Die schlesischen Goldschmiede sind während ihrer Gesellenzeit vornehmlich in die bedeutenden Goldschmiedezentren Nürnberg oder Augsburg gewandert, was aus dem Aussehen ihrer Werke zu erschließen ist.
(S.66:) "Erst als im Laufe des 18. Jhs immer häufiger von den Landesherren Wanderverbote erlassen wurden, ging der bis dahin sehr weit reichende Einfluß der Goldschmiedemetropolen wie Augsburg oder Straßburg zurück."


 

Original und Kopie

Galvanoplastische Nachbildungen im Gewerbemuseum Nürnberg

Silvia Glaser
Schätze deutscher Goldschmiedekunst, 1992, S. 74-77.

(S.74:) Galvano: Elektroformung; entstanden vor ca. 150 Jahren.
In der zweiten Hälfte des 19. Jhs wurden Gewerbemuseen mit dem Ziel der Förderung von Handwerk und Industrie gegründet. "Hier dienten die auf chemischem Wege hergestellten exakten Kopien von Goldschmiede-, Zinn- und Messingarbeiten als Muster in den Vorbildersammlungen."
Herstellung: Negativform aus Wachs oder Guttapercha; positive Gipsmatritze; Graphitstaub-Überzug; galvanisches Bad; Kupferüberzug; versilbern oder vergolden.


 

Die analytische Untersuchung von Silbergegenständen als Hilfsmittel
bei der Beantwortung kunstwissenschaftlicher Fragestellungen

Ernst-Ludwig Richter
Schätze deutscher Goldschmiedekunst, 1992, S. 68-73.

(S.73:) "Das Silber erfährt vom ausgehenden Mittelalter bis zum 20. Jh. Änderungen seiner Zusammensetzung, die im wesentlichen durch die angewandten metallurgischen Verfahren bestimmt werden.
Die Materialanalyse gestattet in vielen Fällen eine eindeutige Unterscheidung zwischen Silberobjekten des 19. und 20. Jhs und älteren Arbeiten. ...
Bei Silberobjekten, die vor dem 19. Jh. hergestellt wurden, zeichnen sich gewisse Besonderheiten in der Materialzusammensetzung ab, die Rückschlüsse auf die zeitliche Entstehung oder lokale Herkunft gestatten."



Siehe auch: Deutsche Goldschmiedekunst - Inhaltsverzeichnis


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