Germanisches Kriegergrab im Altmühltal offenbart ein Stück Geschichte unserer Vorfahren
- Seit Johannes Turmaier, genannt Aventinus, dem Vater der bayerischen Geschichtsschreibung, beschäftigt die Herkunft der Bayern die Historiker.
Die antiken und auch frühmittelalterlichen Quellen zum Thema sind spärlich und geben auch nach Jahrhunderten der Forschung keine schlüssige Erklärung, allenfalls ein Szenario her.
Nicht umsonst hat man deshalb die Bayern als "Findelkinder der Völkerwanderungszeit" bezeichnet.
- So verwundert es auch nicht, daß die Historiker sich in ihrer Not an die Archäologen wandten.
Die Feldforscher versuchten ihrerseits schon seit dem vergangenen Jahrhundert, der Frühgeschichte der Bajuwaren auf die Spur zu kommen.
Der eingeschlagene Weg hat sich zunächst jedoch als nicht besonders ergiebig herausgestellt.
Die Reihengräberfelder des frühen Mittelalters schienen nach der Analyse der Grabbeigaben erst im 6. Jahrhundert einzusetzen.
Unter den Fundgegenständen ließ sich überdies nichts typisch bajuwarisches ausmachen.
Dagegen konnte man über die modisch beeinflußten Gewandfibeln der Zeit Importe oder einen Zuzug neuer Siedler aus Thüringen oder Franken, von den Alamannen, Langobarden, Ostgoten oder Burgundern gut nachweisen.
- Erst in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts fanden sich Gräberfelder, deren Belegung bereits um die Mitte des 5. Jahrhunderts begann.
Die Grabfunde bei Bittenbrunn nördlich von Neuburg an der Donau, Altenerding und Straubing ließen über die Gründergenerationen jedoch aus ethnischer Sicht nicht allzuviel Aussagen zu.
Die Zuwanderung eines Stammes in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, von welcher die Schulbücher teils bis heute berichten, mußte jedoch als zweifelhaft in Frage gestellt werden.
- Nun hatte man bei den ältesten Bestattungen des großen Reihengräberfeldes von Straubing einige handgemachte Tonschalen von eigenartiger Machart gefunden.
Dieselbe Keramik vergleichbaren Stils fand sich auch in einem der wohl jüngsten Gräber des spätrömischen Kastellfriedhofs von Straubing-Azlburg.
Aus diesen Befunden hat man abgeleitet, daß an der Schwelle von Spätantike und frühem Mittelalter, etwa um die Mitte des 5. Jahrhunderts im Umland des heute niederbayerischen Straubing eine Bevölkerungsgruppe lebte, welche diese charakteristische Keramik hergestellt hat.
"Baiuvarii" kamen aus Böhmen
- Wer waren nun diese Leute und wo kamen sie her?
Einen Hinweis hierauf gibt ein Brandgräberfeld, welches ebenfalls bei Straubing, nun aber nördlich der Donau in der Nähe der Ortschaft Friedenhain entdeckt wurde.
In diesem Brandgräberfeld konnten eine Vielzahl von vergleichbaren, handgemachten Tongefäßen geborgen werden, in denen die Leichenasche dem Boden übergeben worden war.
Die nächsten Vergleichsbeispiele fanden sich im südlichen böhmischen Kessel, vor allem im Gräberfeld von Prestovice bei Strakonice.
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- Nachdem Keramikscherben der genannten Machart auch in den spätrömischen Kastellplätzen im Donauabschnitt zwischen Neuburg im Westen über Weltenburg und Regensburg bis nach Straubing reichten, lag die Vermutung nahe, daß es sich bei den Trägern der Keramik um eine germanische Bevölkerung gehandelt hat, die sich in der Zeit um 400 nach Christus im Raum zwischen Neuburg an der Donau und Straubing - und zwar nördlich der Donau - niedergelassen hatte.
- Ein vermehrtes Auftreten dieser Funde führte seit Anfang der 80er Jahre zur Theorie, daß die wehrfähigen, jungen Männer dieser Bevölkerung als Söldner in die römischen Truppen aufgenommen wurden.
Diese Bevölkerungsgruppe könnte identisch sein mit den freilich erst viel später namentlich genannten "baiuvarii", den "Leuten aus Böhmen", wie man die Bezeichnung wohl übersetzen muß.
Ein Grab erzählt Geschichte
- Alle Theorie ist und bleibt grau, wenn sich die historische Wahrheit nicht an ihr erproben läßt.
Aus dieser Sicht stellt ein Grabfund auf der Flur von Kemathen, einem Ortsteil des Marktes Kipfenberg, eine Art "missing link" dar, der sich in die Theorie einfügt, wie der passende Schlüssel ins vorhandene Schloß.
Er wirft Licht auf diesen für die Frühgeschichte Bayerns sehr bedeutsamen, historischen Vorgang.
Das im Herbst 1990 bei dem oberbayerischen Ort geborgene Körpergrab ermöglicht es sogar, den individuellen Lebensweg des jungen Mannes in Ansätzen nachzuvollziehen.
Am Ende der Spätantike geboren, durchlief er - wie manch anderer seiner Zeitgenossen auch - eine Militärkarriere im spätrömisehen Reich.
- Daneben konnten Siedlungsspuren, beginnend von der Mittelsteinzeit bis zur Völkerwanderungszeit im späten 4. Jahrhundert nach Christus, geborgen werden.
Eine Überraschung war jedoch, daß auf dem zur Altmühl hin nach Westen abfallenden Hang auf eingewehten Talsanden die Bestattung eines germanischen Kriegers aufgedeckt werden konnte.
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- Die reich ausgestattete, in Nord-Süd-Richtung orientierte Grabkammer war wohl schon zur Zeit der Niederlegung nicht tief in den Boden eingebracht.
Den im Alter von etwa 30 Jahren Verstorbenen hatte man an der linken Körperseite ein 90 Zentimeter langes, eisernes Schwert beigegeben, auf dessen Scheide Silber- und Bronzenieten sowie eine silberne Astragalröhre als Zierbeschlag aufgebracht waren.
Oberhalb des Kopfes war ein Schild niedergelegt, von dem sich eiserne Bestandteile - wie etwa der kegelförmige Handschutz (Schildbuckel) mit bronzener Spitze - erhalten hatten, sowie eine ebenfalls eiserne Fessel.
An der gleichen Stelle fanden sich mehrere Eisenfragmente, die vielleicht als Scharniere zu einem Holzkästchen gehörten.
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- Um den Leib trug der Bestattete einen etwa zehn Zentimeter breiten Militärgürtel mit kerbschnittverzierten Bronzebesätzen und ebenfalls
- Bronze- sowie Silbernieten.
- An diesem Gürtel war wohl ursprünglich an einem bronzenen Haken ein Leder- oder Tuchbeutel befestigt, dessen Inhalt aus einer Pinzette, einem Feuerstein und einem Feuerstahl bestand; außerdem gehörte eine verzierte und durchlochte Scheibe aus der Rose eines Hirschgeweihs zum Inhalt.
- Bemerkenswert ist ein spiralig gewundener Fingerring aus kräftigem Silberdraht, der sich am Ringfinger der linken Hand befand.
Nur fragmentarisch blieb ein zweizeiliger Dreilagenkamm aus Knochen erhalten, den vier eiserne Nieten zusammenhielten.
Er fand sich an der Innenseite des rechten Unterarms.
An der rechten Schulter konnten die Fragmente einer schlichten, eisernen Armbrustfibel geborgen werden, die - ankorrodierten Fellresten nach - einen pelzbesetzten Mantel zusammengehalten haben dürfte.
Der Germane kämpfte für Rom
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- Im Osten der wohl quadratischen Grabkammer waren die Speise- und Getränkebeigaben niedergelegt.
Darunter fand sich ein 18,5 Zentimeter hoher Spitzbecher aus grünlichgelbem Glas mit Fadenauflage.
Daneben lagen Knochen vom Rumpf, Becken und Fuß eines jungen Schweines sowie fünf handgemachte, dunkelbraune bis schwarze Tongefäße.
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- Das Keramikensemble umfaßte zwei Kümpfe sowie einen Becher und eine kleine Schale.
Letztere dürften Imitationen von römischen Gefäßtypen darstellen.
- Zum Schluß sei eine große Schale erwähnt, die aufgrund der schräg über den Umbruch verlaufenden Rippung der Gruppe Friedenhain zugeordnet werden kann, also jener germanischen Bevölkerung, deren ursprünglicher Lebensraum sich im südlichen Böhmen befand.
- Aufgrund der Gürtelgarnitur und des Glasgefäßes ist es wahrscheinlich, daß der Krieger von Kemathen im frühen 5. Jahrhundert, also etwa zwischen 410 und 420 nach Christus gestorben ist.
In dieser Zeit gehörte Südbayern noch zu den römischen Provinzen Raetia secunda und Noricum ripense, wobei die Donau die nördliche Reichsgrenze darstellte.
Bei dem gut 25 Kilometer nördlich der Donau im Altmühltal entdeckten Grab handelt es sich um die erste Körperbestattung aus einem Gebiet, in dem es sonst der Brauch war, die Toten auf dem Scheiterhaufen mit allen Beigaben zu verbrennen.
Die nicht ins Feuer gelangte Ausstattung stellt sowohl einen bedeutenden anthropologischen Beleg, als auch eine Quelle zur zeitlichen Einordnung bei tracht- und militärgeschichtlichen Detailuntersuchungen dar.
- Das "kulturell gemischte" Grabinventar ermöglicht nun Aussagen darüber, welchem Beruf der in Kemathen beigesetzte Krieger zu Lebzeiten nachging.
Der breite Gürtel mit seinen kerbschnittverzierten Beschlägen stellt dabei eine der provinzialrömischen Komponenten dar.
Der Leibriemen ist ein anschaulicher Beleg dafür, daß der Krieger von Kemathen im spätrömischen Westheer diente und im Sold Roms stand; in der Spätantike hatte Rom im großen Umfang germanische Truppen zur Grenzsicherung angeworben.
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- Der erwähnte konische Glasbecher (Spitzbecher mit Fadenauflage) stammt aus provinzialrömischen Glashütten, die sich im heutigen nordfranzösisch-belgischen Raum befanden.
Er ist Ausdruck einer gehobenen Trinkkultur und einer Vorliebe für Wein, der auf Fernhandelswegen seine begehrlichen Abnehmer fand.
Die Glasbecher waren von germanischen Söldnern hoch geschätzt und wurden nach der Entlassung aus der Armee in die Heimat mitgenommen.
- Zu den umfangreichen germanischen Komponenten zählen auch die Spatha, also das Langschwert, und der Schild.
Römische Soldaten mußten ihre Militärausrüstung nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst an den Staat zurückgeben, germanische Legionäre konnten ihre Waffen im Unterschied dazu behalten.
Sozial hoch gestellten Personen der germanischen Gesellschaft war es auch vorbehalten, nicht verbrannt zu werden, sondern in Nord-Süd-Ausrichtung orientierten Gräbern niedergelegt zu werden.
Häufig fand sich als Beigabe eine Gürteltasche, in der sich Pinzetten und Feuersteine befanden.
Auch die einfache eiserne Armbrustfibel, die der Tote auf der rechten Schulter getragen hat und die als Verschluß des Mantels diente, stellt eine germanische Komponente dar.
Sie kann verglichen werden mit den spätrömischen Zwiebelknopffibeln und ist als solche Bestandteil der Amtstracht - und zwar sowohl von zivilen als auch von militärischen Staatslaufbahnen.
Krieger erlebte Europas Wandel
- Von besonderem Interesse sind auch die bereits erwähnten fünf handgemachten Tongefäße, unter denen die große, schräg kannelierte Schale vom Typ Friedenhain den Krieger von Kemathen mit den "Männern aus Böhmen" in Verbindung bringt.
Diese Volksgruppe, die aus spätrömischer Sicht mit der Bezeichnung "baiuvarii" versehen worden war, dürfte dem später entstandenen agilolfingischen Herzogtum Bayern den Namen gegeben haben.
- Der germanische Krieger aus dem Altmühltal konnte diese Entwicklung nicht einmal erahnen.
Er war jedoch Zeitzeuge von Entscheidungen, die das Entstehen der europäischen Staatenwelt im frühen Mittelalter entscheidend beeinflußte.
Das Christentum wurde im Jahre 391 zur römischen Staatsreligion erhoben, und kurz darauf im Jahre 395 hat man das römische Impenum in ein West- und ein Ostreich geteilt.
In dieser Zeit hat unser Krieger sich in den mittleren Offiziersstand hochgedient und dabei wohl den Rang eines Hauptmannes bekleidet.
Der Vandale Stilicho wird als Heermeister des Westreiches wohl zeitweise der oberste Dienstherr des Kriegers aus dem Altmühltal gewesen sein; zumindest bis zum Jahre 408 hatte er das Oberkommando über die westliche Armee inne.
- In absehbarer Zeit wird die interessante Grablege im neu errichteten Bajuwaren- und Römermuseum auf der Burg Kipfenberg ausgestellt werden.
Es erhält dort einen entsprechenden Rahmen und wird eingebettet sein in eine thematisch und chronologische Konzeption mit anschaulichem Fundmaterial aus dieser an geschichtlichen Denkmälern so reichen Landschaft.
- Dr. Karl Heinz Rieder
- Bayerischer Genossenschaftskalender 1998. S. 88-91.
- Fotos: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege
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