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Dr. Siegfried Hofmann:
Die Kirche Maria de Victoria

 
Maria de Victoria, Straßenfront. Foto: Stadt Ingolstadt
Im Zuge der Gegenreformation gründeten die Jesuiten 1577 in Ingolstadt die Akademische Marianische Kongregation der Universität, die 1583 in die Congregatio maior und die Congregatio minor geteilt wurde. Später wurden hierin auch die Bürger der Stadt aufgenommen, die aber 1612 eine eigene "Bruederschafft unßer Lieben Frauen Mariae de Viktoria" gründeten und sich 1617-19 ein Oratorium gegenüber der Südseite des Münsters erbauten.
Das Oratorium der Akademischen Kongregation befand sich zunächst im Jesuitenkolleg. 1732-1735 wurde ein eigener Bau in unmittelbarer Umgebung dieses Kollegs (das gelbe Gebäude im Hintergrund) und der dortigen Kreuzkirche errichtet. Letztere ist leider im 19. Jh. abgerissen und durch den Ziegelbau des Militärlazaretts ersetzt worden (auf dem Bild rot im Mittelgrund). (KS)


Im Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Ingolstadt: "Die Jesuiten in Ingolstadt" von 1991 schreibt Dr. Siegfried Hofmann auf S. 71-75 im Kapitel "Ingolstädter Kirchenbauten"
(gekürzt von KS):

Das Oratorium der Akademischen Marianischen Kongregation,
heute »Maria de Victoria« genannt

Die Akademische Marianische Kongregation hatte sich von 1732 - 1736 ein neues Oratorium erbaut.
Ausführender Baumeister war mit hoher Wahrscheinlichkeit der Ingolstädter Stadtmaurermeister und Baumeister des Jesuitenkollegs Michael Anton Prunthaller, wobei die sicherlich von den Jesuiten benannten Vorbilder und deren Einflüsse - genannt sei nicht zuletzt der »Bürgersaal« in München (1709/10) - in Rechnung zu stellen sind.

Giebel

Der ursprünglich turmlose Bau trat mit der Giebelfront unmittelbar an die Straße in die Flucht von Kolleg und Hl. Kreuz-Kirche.
Die Gliederung vor allem der Fassade ist lebhaft und erfolgt durch Gebälk, Pilaster und Volutengiebel.
Die Stuckierung des Äußeren ist das Werk des Ingolstädter Bildhauers Wolfgang Zächenberger, der aus Straßwalchen stammte und in Ingolstadt zunächst nicht als Bildhauer, sondern als Stuckateur zugelassen wurde. Sie überzieht als Bandwerk stark graphisch die bereits vorgegebene Architektur.
Für die Innenausstattung wurden die Gebrüder Asam gewonnen, sie wurde 1734 in relativ kurzer Zeit durchgeführt.
Am 1. Juli 1736 wurde die Kirche benediziert.
Der Dachreiter stammt von 1882.

Bilder

Der ersten Ausstattungsphase gehören Fresko, Stuckierung und Baldachin an und wohl auch ein erster, provisorischer Altar mit dem Altarbild der Verkündigung von Franz Geiger (1675) aus dem alten Kongregationssaal im Jesuitenkolleg, von 1737 stammen die intarsierten Wandschränke, die Bänke wurden annähernd gleichzeitig beschafft.
Der 2. Phase gehören die Ölbilder der Stirnwand an: der hl. Joseph, der von dem Hohenpriester den Lilienstab als Symbol der Reinheit empfängt und vom Gnadenstrahl des Heiligen Geistes getroffen, das von Engeln getragene Bild Marias im Kranz der 12 Sterne erblickt, und des Johannes auf Patmos, der in einer Vision die Unbefleckt Empfangene schaut, von Gottfried Bernhard Götz (1749), auch die Wandstühle Ingolstädter Handwerker (1748) und die darüber hängenden Bilder heiliger Marienverehrer von M. Puchner, G.B. Götz, Th. Scheffler und D. Wolcker (1752/53).

Maria de Victoria: Altar. Foto: Kurt Scheuerer

Altar

Beim Altar von 1759 fügen sich das Altarbild von 1675, der Stuckbaldachin von 1734, der Altaraufbau und die Patrone der vier Fakultäten (Cosmas für die Medizin, Thomas von Aquin für die Theologie, Ivo für die Jurisprudenz und die hl. Katharina von Alexandrien für die Philosophie) sowie die heiligste Dreifaltigkeit im Auszug - alles Schnitzwerk von Johann Michael Fischer aus Dillingen - zur Einheit.

 

Raum

Der Raum besitz keinen Chor, ist Einheitsraum, bei dem der Altarbezirk nur durch eine Stufe erhöht ist, verzichtet also auf die Teilung in Raum des Priesters und des Volks - wie bei Kirchen geschlossener Gemeinschaften wie Kongregationssälen, Spitälern u.a. gelegentlich anzutreffen - ist als Ganzes ein heiliger, gnadenerfüllter Raum.
Das Chorgestühl ist wegen der Fensterachsen in einzelne Wandstühle aufgelöst und umzieht den ganzen Raum, keinesfalls nur den vorderen Bereich.
Die in den Bänken und den Wandstühlen versammelten Sodalen der Kongregation und die in den über diesen hängenden Wandbildern vergegenwärtigten Heiligen des Himmels ergeben zusammen die »unitas ecclesiae vel militantis vel triumphantis« in Schau und Lobpreis.

Deckenfresko

Maria de Victoria: Deckenfresko. Foto: Kurt Scheuerer
Den Ruhm des Kongregationssaals macht das Deckenfresko Cosmas Damian Asams aus. Es erfüllt die ganze Fläche, der Himmel steht bis in die Ecken des Raums hinein über diesem aus Stein gebauten Hause offen.
Das großflächige Fresko (mit dem Höllensturz gegen 40 m lang, in relativ geringem Abstand vom Boden: 10,5 m) vereint mit der Hauptperspektive verschiedene Einzelperspektiven, ohne daß dadurch dem Gesamteindruck Abbruch geschähe.
Das Bild nimmt also nicht auf die Beter in den Stühlen perspektivisch Bezug, trägt vielmehr seine Richtigkeit in sich, es erweist diese, wenn der einzelne Beschauer nun die verschiedenen Standorte aufsucht.
Die entscheidende Rolle spielen nicht die Betrachter an ihrem jeweiligen Platz, sondern das im Deckenbild vergegenwärtigte Mysterium.

Lichtebenen

Das unverhältnismäßig helle Fresko zeigt drei deutlich abgegrenzte Lichtebenen:
· das gelbe Licht der Gloriole mit Gottvater,
· die visionäre, ätherische, fast das ganze Bild erfüllende himmlische Zone
· und die terrestrischen Szenen in den Ecken und am Bildrande in ihrem farbenträchtigen Realismus.

Menschwerdung Jesu

Das Thema des Deckenfreskos ist nach Angabe des Jahresberichts des Ingolstädter Jesuitenkollegs, das im Praeses der Kongregation die geistliche Leitung der Kongregation trug, die »incarnatio dominica«, die Menschwerdung des Herrn.
Die Menschwerdung Jesu geschah aber keineswegs erst bei der Geburt Jesu, sondern als, vom heiligen Geiste überschattet, der Erzengel Gabriel vor Maria trat.
So wird begreiflich, daß im Deckenfresko an zentraler Stelle die Verkündigungsszene dargestellt ist, und Maria als der neue Tempel in den Horizont des Tempels des Alten Bundes gestellt wird, an der Bundeslade niedersinkend, auf der die Tafeln der 10 Gebote stehen.

Lichtstrahl

Das gnadenhafte Geschehen der Inkarnation findet ihre Urheberschaft in Gottvater inmitten der Chöre der Engel.
Die auf Maria und die ganze Welt einbrechende Gnade durchfährt im Bilde als Lichtstrahl (»radii divinitatis«) in asymmetrischem Zickzack die ganze Deckenfläche.
Sie trifft zunächst auf die Personifikation der Göttlichen Liebe, die mit weit gebreiteten Händen in einer Flammengloriole auf einer Wolke kniet, die Flamme als Attribut auf dem Haupt: Es gibt keinen größeren Grund für die Menschwerdung Christi, als daß Gott seine Liebe zu den Menschen zeigen wollte.
Sodann bricht der Lichtstrahl auf Maria ein, die im Tempel kniet und ihrerseits unter der direkten Linie Gottvater - Taube des Heiligen Geistes steht, sie ist die Unbefleckt Empfangene mit dem Kranz der Sterne auf dem Haupt.
Eine Kartusche am Tempel mit dem zur Sonne aufblickenden Adler macht im Lemma die entscheidende Aussage deutlich: «AMOR DEI«, die Inkarnation ist das Werk der Liebe Gottes.

Welt, Adam

Von Maria aus gehen die Strahlen der Gnade in die ganze Welt, das Heilsangebot der Inkarnation gilt der ganzen Welt. Daß hierbei das missionarische Wirken der Jesuiten besonders zur Darstellung kommt (siehe Afrika und Asien) dürfte sich von selbst verstehen.
Auch die Randzonen fügen sich in das umgreifende theologische Thema der Inkarnation: Adam steht unter dem Baum des Paradieses, auch auf ihn fällt das Licht der göttlichen Liebe, als Lichtstrahl das Geäst des Baumes streifend. Gott hat in der Menschwerdung die Natur Adams angenommen, um die gefallene Menschheit zu erheben.

Israeliten

Am rechten Bildrand erblickt man die Israeliten, »suspirantes libertatem venturumque Messiam«, also in der Hoffnung auf Befreiung und den kommenden Messias, mit der Berufung Moses vor dem brennenden Dornbusch, der Arbeit der Gefangenen am Ziegelbrennofen vor dem Pharao, ihrer Verprügelung und der in den Himmel ragenden Wolkensäule des Auszugs. Ihr »exodus« aber hat seinen theologischen Stellenwert im antetypologischen, bereits auf die Menschwerdung, den Messias verweisenden Charakter.

David, Abraham

An entscheidender Stelle in Zuordnung zu Maria: König David und Abraham (letzterer in der Szene der Opferung Isaaks) als die Vorfahren Mariens (»progenitores virginis«). Die Tempelszenerie, begleitet vom elfenbeinernen Turm (links) und dem starken Turm Davids (rechts) mit den Stufen und der Quelle, die aus dem Tempelberg hervorbricht gemäß der Vision Ezechiels: Alles wird leben, wohin dieses Wasser kommt (vgl. Ezechiel 47, 1-12).

Europa

Das im Bilde dargestellte gnadenhafte Geschehen reichte bis in die Aktualität des Tages: Im Apoll des Musenbergs der Europaecke ist der bayerische Kurfürst zu erkennen - ich trete nach wie vor für Max Emanuel in genelogischer Rückblende ein - und der Anspruch Bayerns auf die Kaiserkrone wird ins Bild gesetzt, eben der Krone, die Karl Albrecht dann tatsächlich erhielt.
Auf Ingolstadt verweisen die Szepter und Repräsentanten der Universität Ingolstadt in Gestalt des Rektors und der Dekane, die zusammen die Grundsteinlegung dieses Kongregationssaals vollzogen hatten.

Höllensturz

Der grandiose Höllensturz aber - auffallend der Pfau als Symbol des Stolzes - ist die Folge der Ablehnung der Anbetung des Mensch gewordenen Jesus Christus im Einklang mit der theologischen Sicht des Engelsturzes bei dem Jesuiten Franz de Suarez.
Die Beschreibung der Litterae annuae hebt gerade diesen Aspekt hervor: »rebelles angeli Deo - homini negantes hominum«.

Altar

Die jesuitische Beschreibung von 1735 setzt Fresko und Altar bewußt in Beziehung, läßt den Altar, der durch den mächtigen Stuckbaldachin ausgezeichnet wurde, geradezu als Steigerung sehen. ...
Es fügen sich in der Tat zur theologischen Einheit:
die Menschwerdung als der ganzen Welt geltendes Heilsgeschehen und
die im eucharistischen Opfer auf dem Altar gegenwärtig bleibende
Erlösung durch den Tod Jesu am Kreuz.
Darin liegt die innere Berechtigung der Verknüpfung des Verkündigungsbilds mit dem eucharistischen Altar. ...

19. Jh.

Mit Ende der Universität in Ingolstadt im Jahre 1800 hatte die Akademische Kongregation ihren Boden in Ingolstadt verloren.
1803 wurde das Oratorium der Stadt Ingolstadt geschenkt, die sich seitdem in der Pflicht der Sorge um dieses kostbare Werk weiß.
1804 siedelte die Bürgerkongregation von ihrem Oratorium in diesen Saal der Akademischen Marianischen Kongregation über, mit diesem Jahre führt das Oratorium den Namen »Maria de Victoria«.

Dr. Siegfried Hofmann. Die Jesuiten in Ingolstadt. 1991. S. 71-75.

Hochzeit 1961 in Maria de Victoria. Foto: Manfred Scheuerer
Da sich das Gebäude in städtischem Besitz befindet, wird es tagsüber zur Besichtigung (von Dienstag bis Sonntag von 9 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr) geöffnet.
Traditionsgemäß finden dort Schulgottesdienste statt.
Seit den 60er Jahren wird es auch für Hochzeiten freigegeben.
Seit der Erneuerung der Orgel werden dort regelmäßig musikalische Veranstaltungen abgehalten.

 

Kurt Scheuerer, 1998

 


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