Vom „Ludwigsfest" war schon jetzt keine Rede mehr. Neben dem öffentlich gebotenen „Geburtstag des Königs" als Staatsfeiertag wäre das eine allzu respektlose Profanierung gewesen. Das „Gründungsfest" zum 3. September war also vom Landgericht Ingolstadt angeordnet worden, um eine „Jahresfeier" in die erste Septemberhälfte – nach der Ernte und vor der Herbstarbeit – zu haben, bei der die Bezeichnungen „Kirchweihe" und vor allem "Ludwigsfest" vermieden werden konnten.
Hätte es in Friedrichshofen oder wenigstens in Ingolstadt damals eine protestantische Kirche gegeben, wäre der Ausdruck „Kirchweihe" durchaus üblich und naheliegend gewesen, nicht anders als in katholischen Gemeinden.
Nun gab es aber weder in Friedrichshofen noch in Ingolstadt so etwas wie eine traditionelle, eingeweihte protestantische Kirche, so war der Ausdruck „Jahresfeier" in seiner ganzen Farblosigkeit wenigstens nicht so völlig sinnentleert. Der Ausdruck „Fest der Gründung" machte sogar noch mehr Sinn. Die Ingolstädter protestantische Pfarrgemeinde, zu der auch die Friedrichshofener Kolonisten gehörten, war tatsächlich an einem 3. September, nämlich im Jahre 1824, durch königlichen Erlass „gegründet" worden war.
Das wird freilich in den Akten von 1838 nicht angesprochen und lässt sich deshalb nicht einfach unterstellen.
Da aber der oberste Landgerichtsbeamte, der naheliegender Weise mit den Protestantenangelegenheiten in erster Linie befasst war, nämlich der I. Landgerichtsassessor Karl Friedrich von Hedenaber (in Ingolstadt 1809-1853) zugleich und von Anfang an Mitglied im protestantischen Kirchenvorstand war, könnte dieser den so wichtigen Gründungstag der Ingolstädter Pfarrgemeinde, zu der auch die Friedrichshofener gehörten, durchaus im Kopf gehabt haben.
Von der Übergabe des „Musterhauses" im Jahre 1832 als dem Gründungsereignis war ja in dem landgerichtlichen Schreiben vom 10. Oktober 1838 auch nicht ausdrücklich die Rede. Doch passte die Koinzidenz der beiden Ereignisse am 3. September ausgezeichnet zu dem Wunsch der Friedrichshofener, die ärgerliche „Kirchweih" von Mitte August in den Anfang September zu verlegen.
Man mag sich heute wundern, warum man in dem Zusammenhang protestantischerseits nicht an ein „Erntedankfest" gedacht hat, das wohl in die Zeit nach der Ernte gepasst hätte.
Aber das dürfte wohl an dem allzu religiösen, fast rein gottesdienstlichen Charakter dieses in der Regel nur halb- oder eintägigen Festes gescheitert sein, das für ein zweitägiges ausgelassenes „Kirchweihfest" mit weltlichem Tanzvergnügen keinen Ersatz geboten hätte.
Die historische Pointe an dieser recht verzwickten Geschichte besteht nun darin, dass die amtlich bewilligte alljährliche „Gründungsfeier" – als Gemeinschaftsfeier mit kirchlichem und vaterlandsfrommem Akzent – in der realen Friedrichshofener Ereignisgeschichte nie wirklich stattgefunden hat, und zwar offensichtlich deshalb, weil ja nur ein gastronomisches und überhaupt kein kommunales Interesse dahinter stand.
Das gemeinsame Interesse der ganzen Kolonistenversammlung bestand ja darin, das „Kirchweihfest" des Weinwirts Becker Mitte August zu verhindern beziehungsweise dauerhaft zu verschieben.
Eigenartiger- und tragischerweise musste der Pfälzer Weinwirt Nikolaus Becker im folgenden Jahr 1839 Konkurs anmelden.
Er wurde „vergantet" und hatte den Ort mitsamt seiner Familie zu verlassen, weil ihm verhängnisvollerweise für 1000 Gulden Pfälzer Wein sauer geworden war.
Vielleicht hatte er mit seiner ihm sicher sehr verübelten Rücksichtslosigkeit gegen die „Bauern" der Kolonie gerade diese Katastrophe noch abzumildern versucht.
Nach Godramstein konnte er nicht mehr zurück, weil er sein Heimatrecht dort aufgegeben hatte.
Schließlich fand er für seine Familie ein karges Brot als ungelernter Eisenbahnarbeiter in Augsburg.
Wohl wurde in der nun einzigen verbliebenen Gastwirtschaft alle paar Jahre weiterhin Anfang September „Friedrichshofener Kirchweih" oder auch „Gründungsfest" gehalten, zum Beispiel 1847, im Jahr der Unabhängigkeit als Dorfgemeinde, als „Feier der Begründung der Kolonie Friedrichshofen mit Tanzmusik", auch zwischen 1869 und 1884, wie gesagt, wenigstens zehnmal mit Bezug auf die Gründungserinnerung, am 2. September 1900 auch mal eine „Erinnerungsfeier an die Friedrichshofener Kirchweihfeier" mit Tanzmusik und 1904, Mitte Oktober, ein letzter „Kirchweihsonntag mit öffentlicher Tanzmusik".
Man kann nicht sicher sein, dass jede dieser „Friedrichshofener Kirchweihen" auch in der Zeitung stand.
Daneben gab es ja auch Frühlings-, Maitanz- und Garteneröffnungsfeste, aber überhaupt nicht regelmäßig.
Und diese jeweils an einem Sonntag stattfindenden Wirtsfeste wurden immer erst am Samstag zuvor öffentlich angekündigt; schließlich war das finanzielle Risiko angesichts der Inseratskosten, der Musikabgabe an die Gemeinde und des Honorars für die Musikkapelle (meist Militärmusik) bei unsicherer Wetterlage einfach zu hoch, als dass der Gasthofbesitzer oder Pächter daraus eine regelmäßige, wirklich öffentliche Veranstaltung hätte machen können.
Für die Gemeindeverwaltung Friedrichshofen war nur wichtig, dass diese Kirchweih- oder Gründungsfeste nie wieder Mitte August, mitten in der Erntezeit, stattfanden. Das war durch die Petition vom 6. August und den anschließenden Schriftwechsel bis zum 10. Oktober 1838 erreicht worden, offenbar schon fürs Jahr 1838 selbst. Dem fehlenden Zeitungsinserat zufolge scheint auch Nikolaus Becker sein für Mitte August 1838 angekündigtes „Jahresfest" nicht abgehalten zu haben.
Andererseits kann aus der unterlassenen Wochenblatt- oder Tagblattankündigung nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass wirklich keine „Kirchweih" oder kein „Gründungsfest" stattfand.
Jedenfalls hat es nie ein allgemeines Dorffest oder „Jahresfest" in diesem Zusammenhang gegeben, schon gar nicht – wie 1838 beantragt und bewilligt – ein „alljährliches" oder „feierlich begangenes".
Nie war – nach Ausweis aller Gemeinderechungen von 1835 bis 1969 – die Ortsgemeinde an einem solchen anders als durch Einkassieren der „Musikabgabe" (Vergnügungssteuer) beteiligt.
Nie ist aber auch in Friedrichshofen jemals ein datiertes, rundes „Gründungsjubiläum" gefeiert worden, mit der einzigen Ausnahme, dass Bürgermeister Berthold im vermeintlichen 100. Gründungsjubiläumsjahr 1932 – anstelle einer beabsichtigten „Gründungsfeier" – am Todestag des Ortsgründers Friedrich Schultheiß (am 22. November) an seinem Grab im Münchener Südfriedhof einen Lorbeerkranz niedergelegt hat.
Nach alledem wäre die Stadt Ingolstadt nicht gut beraten, wenn sie von der von ihr selbst erst 1983 gestifteten Tradition – die Entstehung Friedrichshofens ins Jahr 1833 zu datieren und die Vorgänge von 1832 nur als Vorbereitung darauf zu betrachten – nun schon wieder abginge und das Jubiläumsjahr „175 Jahre Friedrichshofen" bereits in diesem Jahr (2007) begehen ließe.
Eine Feier am 2. September 2007 könnte allenfalls eine Wiederaufnahme der gastronomischen Tradition der „Friedrichshofener Kirchweih" oder des „Gründungsfestes" sein, eine Art Vorfeier zum eigentlichen Ortsjubiläum im kommenden Jahr, das gründlich vorbereitet gehört und nicht nur ein Tagesereignis sein sollte.
1
Karl Batz, 150 Jahre Friedrichshofen, Ausstellung vom 17. Juli bis 245. Juli 1983, S. 4, 14 2
Dr. Hans Saalfeld, Friedrichshofens Anfänge, in: Ingolstädter Heimatblätter, Nr. 5, 1969, S. 18
3
Dr. Hans Saalfeld, Für die Gaimersheimer blieben die Friedrichshofener Fremde, in: Ingolstädter Heimatblätter, Nr. 2, 1968, S. 44
4
wie Anm. 2
5
Franz Koislmeier, 120 Jahre Friedrichshofen, in: Ingolstädter Heimatblätter, Nr. 3, 1952, S. 112 u. Donaukurier v. 27.3.1952, S. 12
6
Stadtarchiv Ingolstadt, Aktenkassette Friedrichshofen (Hanns Kuhn) mit Ausschnitt aus „Ingolstädter Heimatgeschichte" 1932 u. Ankündigung im „Evangelischen Gemeindeblatt für den Dekanatsbezirk München II"
7
Staatsarchiv München LRA 108156, fol. 4 u. 142
8
Franz Xaver Ostermair, Der Bezirk Ingolstadt im Jahre 1860. Topographirt von Philipp Apian, in: Ingolstädter Zeitung, Unterhaltungsblatt 1885, S. 27; ebenso in: Sammelblatt des Hist. Vereins Ingolstadt, 17/1892, S. 30
9
Ev. Pfarrarchiv Ingolstadt, 82 (Pfarrbeschreibungen, Konzepte)
10
wie Anm. 8 (Pfarrbuch, gefertiget von Pfarrer J. Jakob Leidig im Jahre 1834, revidirt und ergänzt von dessen Nachfolger Dr. Leonhard Volkert im Jahre 1845; unveröffentlicht). – Der einschlägige Abschnitt ist der älteste historiografische Text zur Frühgeschichte Friedrichshofens. Deshalb soll er hier im vollen Umfang erstmals veröffentlicht werden. Er lautet: „Im Jahre 1832 hatte sich in Ingolstadt eine Aktiengesellschaft gebildet, welche beträchtliche Strecken Feldes an der Landstraße nach Eichstätt, ¾ Stunden von Ingolstadt, ankaufte. Das erworbene Land gehörte zur Flur von Gaimersheim und war wegen der großen Entfernung von diesem Orte theilweise
nur höchst dürftig angebaut, größtentheils aber lag es noch ganz öde. Die Gesellschaft beabsichtigte nun, dasselbe in kleineren Partien an betriebsame Kolonisten aus ferneren Gegenden abzugeben und erließ daher in zahlreich bevölkerten Gegenden des Vaterlands, besonders in der Pfalz und nach Unterfranken die Einladung zur Ansiedlung. Wirklich hatte dieselbe baldigen Erfolg. Im Frühjahre des Jahres 1833 kamen die ersten Ansiedler aus Unterfranken (Sommerhausen), noch in demselben Jahre folgten einzelne aus der Pfalz (hauptsächlich aus Godramstein bey Landau). Die Ansiedlungen dauerten auch in den nächsten Jahren von dorther fort und wurden durch Ankömmlinge aus dem Badischen und Würtembergischen vermehrt. Obwohl unter den Kolonisten in den letzten Jahren auch einige römische Katholiken sich niederließen, so sind sie doch bis jetzt wenigstens der größeren Anzahl nach der evangelischen Kirche zugethan. Die Kolonie hat ihren eigenen Friedhof, der im Jahre 1835 durch den Pfarrer Leidig eingeweiht wurde. Die protestantischen Kinder besuchen die Schule in Ingolstadt. Seit dem Jahre 1834 trägt die Kolonie den Namen Friedrichshofen, sie erhielt denselben zu Ehren des damaligen Regimentsquartiermeisters und nunmehrigen Oberkriegskommissärs Friedrich Schultheiß in Würzburg, der ihre Gründung besonders betrieben hatte. Am Ausgang des Jahres 1844 zählte sie in 18 zur protestantischen Kirche gehörigen Familien 120 Seelen."
11
wie Anm. 8
12
wie Anm. 2
13
vgl. die 5 Schreiben vom 6.8. bis 10.10.1838 in: Staatsarchiv München LRA 25782, fol. 106-110
Theodor Straub, Stand vom 22./31. Juli 2007; korr. 30.08.2007
Siehe auch:
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