- In jüngster Zeit wurden in Bayern und speziell in der Region Ingolstadt eine Reihe besonderer Grablegen entdeckt und untersucht.
- Sie spiegeln eine Prozess wider, der ab dem 7. Jahrhundert zu beobachten ist: die Separierung einer örtlichen oder regionalen Ober- oder Führungsschicht. Möglicherweise entwickelten sich seit dieser Zeit die freien Herrschaften auf dem Lande, die für mehr als tausend Jahre die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt haben. Die überregionale Betrachtung zeitgleicher Gräberfelder kann darüber hinaus weiträumige politische Entwikklungen wie etwa Präsenz oder Verdrängung ethnischer oder politischer Gruppen aufzeigen und Veränderung religiöser Vorstellungen vermitteln.
Großhöbing
- Die Angehörigen dieser Führungsschicht hatten spezielle Aufgaben für die Obrigkeit zu übernehmen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert Großhöbing, eine Ortschaft auf der Frankenalb. Man passiert sie heute wie vor 1300 Jahren, wenn man Ingolstadt in Richtung Norden verlässt. Wie Ingolstadt hatte Großhöbing wohl früh eine wichtige Grenzfunktion an dem Fernweg zwischen Rhein und Donau. Dies zeigte sich Mitte der 90er-Jahre beim Bau der ICE-Trasse.
- Am Osthang des Schwarzachtals gegenüber der heutigen Ortschaft wurde der dicht belegte, südwestliche Randbereich eines Reihengräberfriedhofs des 6.-8. Jahrhunderts angeschnitten. Er dürfte mit über 1000 Bestattungen sehr ausgedehnt gewesen sein. Auffälligster Befund ist das Grab eines „Adeligen“, der im frühen 8. Jahrhundert zusammen mit vier Begleitern bestattet wurde. Neben wenigen, kostbaren Beigaben fällt besonders der aufwändige Grabbau mit breitem Grabschacht und mächtigem, doppeltem Kreisgraben auf. Der innere Graben umschloss ehemals einen großen Hügel, der mit weiteren Hügeln an der südwestlichen Schaufront des Gräberfeldes weit ins Schwarzach- und Thalachtal hinein sichtbar war.
Großmehring
- Für Ingolstadt sind die mit wertvollen Beigaben ausgestatteten Gräber von Großmehring, Etting und Gerolfing von besonderem Interessen. Mitte der 90er-Jahre wurden im Osten von Großmehring, in der Flur Straßgwender, die Gräber mehrerer Siedlungsverbände archäologisch untersucht, deren Angehörige in der Folgezeit mindestens bis um die Mitte des 8. Jahrhunderts in der Flur ihre Toten bestatteten. Dem Mann in Grab 24 hatte man neben einem Schild mit silberplattierten Nieten ein aus zahlreichen eisernen Beschlägen und Riemenzungen bestehendes Pferdegeschirr beigegeben, das mit silbernen Perlrandnieten verziert war. Von Grabräubern entnommen wurde ein Schwert, dessen Scheidenbeschläge ebenfalls silberne Nieten aufwiesen.
- Auch der Mann im stark gestörten Grab 55 besaß ursprünglich ein Schwert, von dem noch silberne Kantenbeschläge der Scheide erhalten waren. Zu seiner Kleidung gehörte eine Gürtelgarnitur, die aus einer bronzenen Schnalle sowie einer mit Tierornamentik verzierten silbernen Riemenzunge und einem silbernen Riemendurchzug bestand. Außerdem trug er mit silbernen Schnallen und Riemenzungen versehene Wadenbinden.
- Etwa zur gleichen Zeit dürfte auch die wohlhabende Frau in Grab 87 bestattet worden sein, die goldene Bommelohrringe mit feiner Filigrandrahtverzierung besaß. Dem Verschluss ihres Gewandes dienten zwei silberne Pressblechscheibenfibeln, von denen die eine ein Flechtbandmuster, die andere ein aus der byzantinischchristlichen Bilderwelt stammendes Lebensbaummotiv zeigt Zu ihrer Ausstattung gehörten außerdem ein Kamm, ein Messer, eine eiserne Gürtelschnalle, ein eiserner Schlüssel, eine Bronzenadel in einer Knochenhülse und eine bronzene Riemenzunge.
Etting
- Nördlich von Ingolstadt, in der Ettinger Flur Sandfeld, wurde 1996 beim Bau der Ortsumgehung und der ICE-Trasse ein kleiner Bestattungsplatz komplett ausgegraben. Aus ihm waren in 32 Gräbern 37 Personen beigesetzt worden. Auffallend sind die Gräber dreier Männer, die ein Kreisgraben mit 15 m Außendurchmesser einfasste, wohl die letzten Reste eines Grabhügels. Zwei der Männer waren gemeinsam in einer hölzernen Grabkammer beigesetzt worden. Sie trugen mit Goldfäden durchwirkte Gewänder und besaßen jeweils ein einschneidiges Schwert (Sax) sowie qualitätvolle Reitersporen, die aus Bronze bzw. aus mit Silber tauschiertem Eisen gefertigt waren. Für die beraubte Bestattung des dritten Mannes kann wohl eine vergleichbare Ausstattung angenommen werden, von der sich jedoch nur noch geringe Reste erhalten haben.
- Den beiden Männern im Doppelgrab hatte man mit einem Trinkhorn einen besonders wertvollen Gegenstand ins Grab mitgegeben, der als Ausdruck gehobener Trinksitten verstanden werden kann. Im frühen Mittelalter waren sie auf besondere soziale Schichten beschränkt. Das Trinkhorn selbst, vermutlich ein Rinderhorn, war im Grab vollständig vergangen. Erhalten hatten sich silberne, auf der Vorderseite vergoldete Mündungsbeschläge. Da sie offensichtlich unvollständig und beschädigt sind, dürften sie in zweiter oder dritter Verwendung angebracht worden sein. Die Beschläge zeigen eine Verzierung aus Tier- und Flechtbandornamenten, die Parallelen im Kunstschaffen des 7. und 8. Jahrhunderts auf den britischen Inseln besitzen. Sie könnten dort hergestellt worden sein, doch ist auch eine einheimische Anfertigung nach entsprechenden Vorbildern nicht ausgeschlossen.
- Zu einem ledernen, nicht mehr erhaltenen Trageriemen für das Trinkhorn gehörten eine silber-vergoldete Schnalle und eine dazu passende Riemenzunge, deren Schauseite mit einer qualitätvollen Kerbschnittverzierung aus pyramidalen Rauten versehnen ist.
- In einem weiteren Grab auf dem Ettinger Bestattungsplatz waren zwei Frauen beigesetzt worden, von denen die eine eine Scheibenfibel aus vergoldetem Bronzeblech besaß. Die Schauseite zeigt links eine Frau mit Schleier oder Umhang und Kleid und rechts einen knienden, mit einem Schwert bewaffneten Mann. Eine weitere Figur im Hintergrund kann als Christus interpretiert werden, der mit ausgebreiteten Armen das Paar, bei dem es sich vermutlich um ein Brautpaar handelt, segnet. Der Szene liegen mediterrane Vorbilder des 7. Jahrhunderts zugrunde. Dass die Frau aus Etting dem christlichen Glauben angehörte, lässt sich nicht mit Sicherheit folgern, da ungeklärt ist, ob ihr der Sinngehalt der Darstellung bekannt war.
- In einem dritten Doppelgrab lagen zwei etwa sieben- bis achtjährige Kinder, die sowohl mit „kindgerechten“ Attributen als auch mit solchen von Erwachsenen ausgestattet worden waren. Der Knabe besaß ein Miniaturschwert und ein großes Klappmesser.
- Das Mädchen, dessen Gewand auf der rechten Schulter mit einer eisernen Nadel verschlossen war, trug um den Hals eine Perlenkette. An einem nicht mehr erhaltenen langen Lederband, das am Gürtel befestigt gewesen sein dürfte, waren weitere Perlen und ein bronzener Ring angebracht. Das Gehänge besaß vermutlich sowohl Schmuck- als auch Amulettfunktion. Zu Füßen des Kindes lag ein auffallend großer Kamm mit verzierter Griffplatte.
- Schließlich wurden auf dem Ettinger Bestattungsplatz noch zwei weitere, anhand ihrer Sporen als Reiter zu identifizierende Männer gemeinsam in einer Grabgrube bestattet.
- Die Hintergründe für die vielen Doppelgräber auf dem Ettinger Bestattungsplatz können verschiedener Art sein. Mögliche Erklärungen reichen von Theorien der Totenfolge über die Annahme von gemeinsam im Kampf gefallenen Waffengefährten bis hin zu infektiösen Krankheiten und Seuchen, denen im frühen Mittelalter sicherlich viele Menschen zum Opfer fielen. Unabhängig von der jeweiligen Todesursache kann man für die in den Ettinger Doppelgräbern Bestatteten mit großer Wahrscheinlichkeit von engen verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen ausgehen, deren Gültigkeit sich über den Tod hinaus in der Beisetzung in einer gemeinsamen Grabgrube ausdrückte.
Gerolfing
- Schon 1878 hatten Mitglieder des Historischen Vereins Ingolstadt zwischen Gerolfing und Dünzlau im sogenannten Löwenbuckel – einem großen, oberirdisch erhaltenen und nicht mehr als solchen bekannten Grabhügel –das Grab eines Waffen tragenden Mannesentdeckt. Goldbrokatfäden als Überreste prachtvoller Gewänder, die silberbeschlagene Scheide eines Langsaxes, Reste eines Schildes mit goldenen Beschlägen sowie ein Glastummer (Trink-/Taumelbecher ohne Standfuß) betonten die hohe Stellung des Bestatteten.
- Textgrundlage: Katalog zur Ausstellung, S. 36-53.
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