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Gutachten der Versicherer Autofahrer dürfen Radfahrer viel seltener überholen, als sie denken

Autofahrer müssen beim Überholen 1,5 Meter Seitenabstand zu Radlern halten - selbst wenn diese auf einem Radfahrstreifen unterwegs sind. Diese Einschätzung in einem Gutachten könnte gravierende Folgen haben.
Autos, Radfahrer auf Radfahrstreifen in Köln (Symbolbild)

Autos, Radfahrer auf Radfahrstreifen in Köln (Symbolbild)

Foto: Marius Becker/ picture alliance / dpa

Wer einen Radfahrer überholt, muss 1,5 Meter Seitenabstand halten - oder eben warten. Doch diese Regel beachten Autofahrer - wenn überhaupt - meist nur, wenn die Radfahrer direkt auf der Straße und nicht auf einem Radfahrstreifen unterwegs sind.

Dieses Verhalten ist laut einem Gutachten  des Verkehrsrechtsprofessors Dieter Müller allerdings nicht rechtskonform. Der Abstand gelte immer, "unabhängig von der angeordneten Art der Radverkehrsführung" - also auch, wenn Radfahrer auf einem Radweg oder einem Schutzstreifen fahren. Kann der Abstand nicht eingehalten werden, gelte "faktisches Überholverbot".

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Das ergebe sich aus der Rechtsprechung sowie dem Prinzip der Verkehrssicherheit als wichtigstem Grundsatz der Straßenverkehrsordnung. Bei allen Radfahrern müsse der gleiche Sicherheitsabstand eingehalten werden - sonst verkehre sich der Schutzzweck des Radstreifens ins Gegenteil. In Auftrag gegeben hat das Gutachten die einflussreiche Unfallforschung der Versicherer (UDV).

In der Praxis führt diese Rechtsauslegung dazu, dass vor allem Lkw und Busse an Radfahrer vielerorts nicht vorbeiziehen dürfen. Stattdessen müssen sie hinter ihnen herfahren, bis die Gegenfahrbahn für ein Überholmanöver frei ist.

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"Das Gutachten bestätigt unsere seit Langem vertretene Rechtsauffassung", sagte eine Sprecherin des Fahrradclubs ADFC. Aufklärung über die Regel reiche nicht aus, es müssten Konsequenzen folgen. Die Polizei müsse den Abstand beim Überholen messen und Autofahrer sanktionieren, um Radler zu schützen. "In Deutschland ist es fast normal, Radfahrende auf der Fahrbahn als Störfaktor wahrzunehmen, die man bedrängen oder anhupen kann."

Mangelnder Sicherheitsabstand laut ADAC kein Problem

Der Autofahrerverein ADAC sieht mangelnden Sicherheitsabstand beim Überholen nicht als drängendes Problem. Unzureichender seitlicher Abstand sei nur selten eine direkte Unfallursache, sagte eine ADAC-Sprecherin.

Das eigentliche Problem seien "Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten, wo sich etwa 70 Prozent der innerörtlichen Radverkehrsunfälle ereignen", so die Sprecherin weiter. Auch sogenannte "Dooring"-Unfälle durch unachtsam geöffnete Autotüren seien ein größeres Risiko. Der ADAC empfiehlt den Kommunen, Radwege und Schutzstreifen breiter anzulegen.

Vor allem die - im Gegensatz zu Radfahrstreifen - nur gestrichelt markierten Schutzstreifen seien beim Überholen gefährlich, sagte dagegen UDV-Leiter Siegfried Brockmann. Autofahrer würden Radfahrer dort oft viel enger überholen als erlaubt. Bockmanns Schlussfolgerung: "Radverkehrspolitik, die auf breiten Einsatz von Schutzstreifen setzt, ist verfehlt."