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Europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO)

19.01.2021 - Artikel

A. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Am 17.08.2015 trat die Europäische Erbrechtsverordnung (Verordnung EU Nr. 650/2012, EU-ErbVO) in Kraft. Die Verordnung gilt in der gesamten EU mit Ausnahme von Irland und Dänemark. Sie gilt für Erbfälle, die seit 17.08.2015 eingetreten sind und einen Auslandsbezug haben. In Deutschland wird die Verordnung ausgestaltet durch das Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz.

B. Wesentliche rechtliche Änderungen

I. Recht des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich
Die neue EU-ErbVO knüpft bei einem Erbfall künftig, sowohl für die Zuständigkeit von Behörden und Gerichten als auch für die Anwendung materiellen Erbrechts, nicht mehr wie bislang an die Staatsangehörigkeit des Erblassers an, sondern an den Ort des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ gem. Art. 21 EU-ErbVO. Für Deutsche, die ihren Lebensmittelpunkt in Belgien haben, bedeutet dies, dass im Falle ihres Todes „automatisch“ belgisches Erbrecht Anwendung findet, wenn nicht vorher eine Rechtswahl getroffen wurde. So richten sich gem. Art. 23 Abs. 2 EU-ErbVO unter anderem auch Erbfähigkeit, Enterbung und Erbunwürdigkeit sowie Annahme und Ausschlagung des nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers.

Ausländisches Erbrecht kann erheblich von den deutschen Regelungen abweichen. Insbesondere im belgischen Ehegattenerbrecht finden sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Rechtsordnungen.

II. Der „gewöhnliche Aufenthalt“?
Der Rechtsbegriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ ist gesetzlich nicht eindeutig definiert. Die Ermittlung seitens der zuständigen Behörde erfolgt anhand jeden Einzelfalles durch eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers. Als Kriterien werden alle Umstände herangezogen, die erkennen lassen, dass ein Aufenthalt nicht nur vorübergehend war. Eine große Rolle spielt hierbei der Schwerpunkt des sozialen Umfelds, insbesondere familiäre und berufliche Beziehungen. Es sollte eine feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennbar sein. Als nicht nur vorübergehend gilt stets und von Beginn an ein beabsichtigter zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten, kurzfristige Unterbrechungen bleiben dabei unberücksichtigt.

III. Möglichkeit der erbrechtlichen Rechtswahl
Der mit der Anknüpfung an das Recht des „gewöhnlichen Aufenthaltes“ entstehenden Rechtsunsicherheit kann mittels einer Rechtswahl entgegen gewirkt werden. Wenn der „gewöhnliche Aufenthaltsort“ von der Staatsangehörigkeit einer Person abweicht, besteht die Möglichkeit eine Rechtswahl dahingehend vorzunehmen, dass das Recht des Landes der Staatsangehörigkeit auf den Erbfall anzuwenden ist. Dieses genießt dann gegenüber dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes Vorrang. Die Rechtswahl kann grundsätzlich nur in einer „Verfügung von Todes wegen“ erklärt werden. Dies kann beispielsweise durch eine Rechtswahlklausel in einem Testament geschehen, oder sich aus den sonstigen Bestimmungen der „Verfügung von Todes wegen“ ergeben. Aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt sich stets eine ausdrückliche Erklärung vorzunehmen.

IV. Prinzip der Nachlasseinheit
Zu beachten ist, dass sowohl die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort als auch die Rechtswahl dem Prinzip der Nachlasseinheit folgen. Eine gegenständlich beschränkte Rechtswahl z.B. auf einzelne in Deutschland belegene Grundstücke oder auf das gesamte inländische Grundvermögen, wie sie bislang durch Art. 25 Abs. 2 EGBGB ermöglicht wurde, ist nach der EU-ErbVO nicht mehr zulässig. Eine noch vor dem 17.08.2015 getroffene, zu einer Nachlassspaltung führende Rechtswahl bleibt allerdings gem. Art. 83 Abs. 2 EU-ErbVO wirksam, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl in Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

V. Das Europäische Nachlasszeugnis
Mit der EU-ErbVO wird das sog. Europäische Nachlasszeugnis eingeführt. Dieses tritt neben den deutschen Erbschein und erleichtert die Geltendmachung von Rechten und Befugnissen des Erben, Vermächtnisnehmers, Testamentsvollstreckers und Nachlassverwalters in einem anderen Mitgliedsstaat. In einem grenzüberschreitenden Erbfall ist das Nachlasszeugnis ein tauglicher Nachweis der Erbenstellung und kann beispielsweise für die Umschreibung von Grundeigentum oder Bankkonten genutzt werden. Die Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses obliegt einem vom jeweiligen Mitgliedsstaat bestimmten Gericht oder einer Behörde.

C. Hinweise und Empfehlung

Deutsche mit Lebensmittelpunkt in Belgien können künftig nicht mehr von der Anwendbarkeit deutschen Erbrechts auf ihren Erbfall ausgehen. Zwar gibt es unter Umständen eine Ausnahmeregelung (Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO), die bei einer offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat als dem Aufenthaltsstaat das Recht dieses anderen Staates für anwendbar erklärt, jedoch obliegt die Auslegung eines jeden Einzelfalles dem Ermessen der zuständigen Behörde, was einen Unsicherheitsfaktor birgt.

Es empfiehlt sich daher eine gründliche Überprüfung bereits erstellter Testamente oder sonstiger Verfügungen von Todes wegen vorzunehmen und ggf. zusätzlich eine Rechtswahl zu treffen. Hierbei sollte überlegt werden, ob für die persönlichen Präferenzen das Erbrecht des Heimatlandes oder das des Aufenthaltslandes die besseren Möglichkeiten bietet.

Da Nachlassfragen sehr kompliziert sein können, empfiehlt es sich, bei Unsicherheiten einen Notar zu konsultieren. Sie finden in unserer Rechtsanwalts- und Notarliste deutschsprachige belgische Notare.


Alle Angaben beruhen auf Erkenntnissen und Einschätzungen der Botschaft zum Zeitpunkt der Textabfassung. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit, insbesondere wegen zwischenzeitlich eingetretener Veränderungen, wird keine Gewähr übernommen.

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