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Jochen Haberstroh, Gerd Riedel
Zum Umbau des Viktualienmarktes Ingolstadt 2007

 

Eine Tiefgarage für den Viktualienmarkt Ingolstadt
oder
Die ausgefallene Grabung

In unmittelbarer Nähe der Grabung am Rathausplatz mit spektakulären Holzbaubefunden an der südlichen Stadtgrenze des 13. Jahrhunderts wurde seit 2003 neben dem Umbau des Neuen Rathauses auch die Neugestaltung des Viktualienmarktes geplant. Abgestimmt auf die Maßnahme der Sparkasse Ingolstadt sollten die Bedingungen für die Bewirtschaftung des erst nach 1945 an dieser Stelle entstandenen innerstädtischen Marktes verbessert werden. Die Verbesserung der Baustrukturen für die nicht unterkellerten Verkaufsstände stellen dabei vor dem neu errichteten Sparkassenbau und dem veränderten Neuen Rathaus aus Sicht der städtebaulichen Denkmalpflege unproblematische Eingriffe dar.

Die unter dem größten Teil des Viktualienmarktes geplante zweistöckige Tiefgarage zwang dagegen die Archäologische Denkmalpflege, frühzeitig auf die erheblichen Risiken dieser Planung hinzuweisen. Die benachbarte Grabungsfläche lieferte dafür beeindruckendes Anschauungsmaterial. Die dort freigelegten Feuchtbodenbefunde, für das mittelalterliche Bayern in dieser Erhaltung bisher einmalig, und der rekonstruierbare Verlauf des ehemaligen Stadtbaches Schutter unter dem heutigen Viktualienmarkt markierten bereits Eckpunkte für die Kalkulation allfälliger Grabungskosten. Die abschätzbare Grabungstiefe von bis zu 7 m unterhalb des heutigen Platzniveaus und der kaum zu bemessende Konservierungsaufwand für die erwarteten organischen Objekte boten bereits Anlass, die Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit des Projekts zu wiederholen.

Die Sichtung historischer Quellen, der Planunterlagen des Stadtarchivs Ingolstadt sowie die Auswertung des bekannten und sehr detaillierten, jedoch nicht streng maßstabsgetreuen Sandtner-Modells von 1572 (Abbildung) präzisierten dann die Befunderwartung auch für die außerhalb des Schutterlaufs gelegenen Teile des Projektes. Die Analyse dieser Quellen erlaubte die lagegenaue Rekonstruktion der früheren Platzbebauung von 1945 bis zur Renaissance. Die älteren Schriftquellen des 16. –14. Jahrhunderts boten schließlich weitere konkrete Hinweise.

Foto: Kurt Scheuerer
Abbildung: Schutterkapelle (links) und Umgebung im Großen Sandtner-Modell von 1572.

Der Ursprungsbau der Schutterkapelle, der durch Jakob Sandtner in bereits erweiterter Form überliefert ist, geht auf eine Stiftung Herzog Stephans des Kneißls von 1397 zurück. Nach der Vertreibung der Juden aus Ingolstadt übertrug er der Stadt die Judenschule und den Judenhof, um eine Marienkapelle “daraus und darauf” zu errichten. Das Aussehen der damals ganz oder teilweise abgetragenen Baulichkeiten ist heute unbekannt. Die Schutterkapelle ist demnach wie in vielen anderen fränkischen und bayerischen Städten als Sühnebau nach der Zerstörung oder Enteignung der stadtjüdischen Einrichtungen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu verstehen. Das neue, christliche Gotteshaus umgab wohl bereits im Mittelalter ein Friedhof, der jedoch erst 1603 in den Schriftquellen Erwähnung findet. Der Bestattungsplatz der 1312 erstmals genannten jüdischen Gemeinde ist ebenfalls in nächster Nähe zu vermuten. 1665 wurde westlich der Kapelle das Augustinerkloster als zweigeschossige Vierflügelanlage errichtet. 1736 begann der Bau einer neuen, größeren Kirche nördlich der Schutterkapelle. Architekt des Zentralbaus mit Chor im Westen, ovalen Kapellen in den Diagonalen und Eingangshalle im Osten war Johann Michael Fischer. Nach der Fertigstellung des Gotteshauses 1740 wurde die gotische Kapelle als letzter Rest der mittelalterlichen Bebauung auf dem Areal abgetragen und ihr Standort dem Klostergarten zugeschlagen. 1945 fielen Kirche und Kloster Bomben zum Opfer. Danach wurden die Ruinen des bedeutenden Baudenkmals abgebrochen. Seither ist der Platz unbebaut.

Folglich war im Bereich des Viktualienmarktes mit einer Massierung hochrangiger Bodendenkmäler zu rechnen, die in Ingolstadt ohne Vergleich ist. Die Lage des Grundstücks zwischen der ältesten Stadtpfarrkirche St. Moritz und der Schutterniederung ließ es für die Zeit vor dem Einsetzen einer kontinuierlichen Urkundenüberlieferung sogar als möglich erscheinen, auf Spuren des historisch überlieferten, karolingischen Kammergutes zu stoßen.

Die detaillierte Aufbereitung der Befunderwartung in enger Kooperation zwischen dem Stadtmuseum Ingolstadt und dem BLfD. mit wertvoller Unterstützung der Außenstelle Ingolstadt der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts und in verantwortungsvoller Abwägung aller Risiken des Vorhabens durch Stadtplanungsamt und Tiefbauamt der Stadt Ingolstadt führte zum Verzicht auf das Teilvorhaben Tiefgarage durch den Stadtrat. Dabei war die Präzisierung des archäologischen Befundszenarios nicht allein ausschlaggebend. Das Zünglein an der Waage mag die intensive fachliche Vorarbeit in diesem Fall jedoch gewesen sein. Der Stadt bleibt damit auf längere Sicht einer der hochrangigsten Teile ihres (Boden-)Archivs erhalten. Es blieb ihr aber auch ein schwer kalkulierbares, finanzielles Wagnis erspart, das mit der Realisierung des Projektes verbunden gewesen wäre.

Abgesehen vom Erhalt hochwertiger Denkmalsubstanz können aus dieser Zusammenarbeit wirtschaftliche Vorteile für alle Beteiligten entstehen. Das BLfD. sieht sich in diesem Verfahren als Planungspartner der Kommunen. In Ingolstadt hat die Fachkompetenz beider Partner eine besonders schnelle Situationsanalyse ermöglicht. Um ähnlich gut Planungsgrundlagen wie für den Ingolstädter Viktualienmarkt zu schaffen, ist aus Sicht der Denkmalpflege der Achäologische Stadtkataster das geeignete Instrument. Auch für Städte mit weniger gut erschlossenen historischen Quellen bietet er sich als Planungswerkzeug an, das bei allen innerstädtischen Vorhaben in einem frühen Planungsstadium herangezogen werden kann. Die positiven Erfahrungen mit dem Instrument “Archäologischer Stadtkataster” wie sie etwa in Baden-Württemberg seit Jahren gesammelt werden, könnten nach zaghaften Ansätzen auch in Bayern Vorbild sein.

Jochen Haberstroh, Gerd Riedel
Das Archäologische Jahr in Bayern, 2004, S. 141/142.

Literatur:

J. Haberstroh, Archäologischer Stadtkataster Bayern. Empfehlungen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege. (Ber. Bayer. Bodendenkmalpflege 43/44, 2004, 1-?)

K. Hemmeter, “Kühn und königlich streben die ausschwingenden Mauern in die Höhe”. Zum Schicksal des ehem. Augustiner-Eremiten-Klosters in Ingolstadt. In. F. Becker/Ch. Grimminger/K. Hemmeter, Denkmäler in Bayern. Stadt Ingolstadt. Ensembles, Baudenkmäler, Archäologische Denkmäler (München 2002) CLXXIII-CXCIV.


Siehe auch:

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