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Johann Evangelist Helfenzrieder - Professor, Tüftler und Erfinder
von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 14 - Ausgabe Nr. 140 vom 01.05.2024

Zum 300. Geburtstag des Ingolstädter Hochschullehrers

Von 1771 bis 1781 war der gebürtige Landsberger an der Ingolstädter Hohen Schule als Professor für Mathematik zu Gange. Sein Lehrgegenstand war ihm vermutlich eine Art Hilfswissenschaft. Seine Liebe galt dem, was man heute als Ingenieurswesen bezeichnen würde. Sein Herz ging auf, wenn er neue technische Apparaturen und Instrumente samt zugehöriger Verfahren erfinden und im Idealfall auch bauen konnte, zum Beispiel eine Feuerspritze, verbesserte Luftpumpen, neue Turmuhren. „In Arbeiten dieser Art, schreibt Andreas Kraus im Biographischen Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München) lag seine Stärke“.

Er war aber auch firm und unterrichtete auf Universitätsniveau Hebräisch oder Orientalische Sprachen und gehörte zu dem Kreis von umfassend gebildeten Gelehrten, denen kein Fachgebiet zu schwierig und keine Mühe zu anstrengend zu sein schien, um sich nicht voller Neugierde damit zu befassen und mit intellektueller Disziplin und auf Fleiß vertrauendem Selbstbewusstsein damit auseinanderzusetzen – mit dem Ehrgeiz, es dann auch zur Meisterschaft zu bringen.

Helfenzrieder war Jesuit – und hatte, an der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt für diesen universal-wissenschaftlichen Drang und das wohl innerliche Bedürfnis, das Erlernte, Angeeignete weiter zu deuten und kreativ eigenes daraus zu entwickeln, Vorbilder; voran etwa Christoph Scheiner (1573-1650), (auch er übrigens zu Ingolstadt Professor für Mathematik und Hebräisch). Scheiner war nicht nur der in der seinerzeitigen Gelehrtenwelt europaweit berühmte Astronom, er war auch bahnbrechend durch seine Versuche und Beobachtungen im Bereich der Optik. Er schilderte in seiner Schrift Oculus die Anpassung des Auges an variierende Lichtverhältnisse und Entfernungen, entdeckte die Netzhaut als wesentliches Werkzeug des Sehens. Scheiner schuf ein verbessertes Teleskop und erfand den Parallelogramm-Pantographen, ein Gerät zur verkleinerten oder vergrößerten Nachzeichnung von Bildern. Da sich kaum jemand den Namen merken konnte, nannte man das später einfach „Storchenschnabel“ – es war das erste Kopiergerät der Geschichte.

An solchen Vorbildern hatte Helfenzrieder wohl Gefallen. Sie hatten nicht nur „entdeckt“, sie hatten „erfunden“.
Allerdings hatte sich, seit Scheiners Zeit, die Welt gedreht (nun um die Sonne, was Scheiners Intim-Gegner Galilei behauptet, man ihm aber übel genommen hatte).

Die Wissenschaft – Mathematik, Physik, Chemie samt Medizin – hatten riesige Schritte der Erkenntnis verzeichnet. Und auch der Anspruch der „Wissenschaftler“, der Professoren, Forschenden und Lehrenden an den Universitäten hatte sich gewandelt.
Es ging in einem über die Generationen der Hochschullehrer hin schleichenden Prozess dazu, von Debatten über philosophisch Grundsätzliches zu Erkenntnissen zu kommen, die eine praktische Nutzanwendung versprachen. Das sahen übrigens auch die Landesherren (in Bayern die Kurfürsten) so.

Sie waren interessiert an der „Landesentwicklung“. Es ging ihnen darum, ihr „Territorium“ zu stärken, es fit zu machen, um im „Konzert der Länder“ zu glänzen, hervorzustechen.
Dazu waren Männer mit erfinderischen Genen gefragt.
Ob Helfenzrieder solch politisch hinterlegten Ideen zuneigte, ist nicht bekannt. Und man muss hier einen Gang zurückschalten, ehe man ihn in die Kategorie der willfahrigen „Fürstenknechte“ einordnet (die man bald nach der Revolution zu Paris so gern an die Lauternen knüpfte).

Allerdings fiel Helfenzrieders eigener Orden schon zuvor dem Verbot durch den Kurfürsten zum Opfer, Zeit also, seinen Lebensweg vom Anfang her zu schildern.

Johann Evangelist war am 9. Dezember 1724 in Landsberg zur Welt gekommen. Dort erhielt er seinen „ersten Unterricht“, kein Wunder – Landsberg war der zentrale Ort der Ausbildung künftiger Jesuiten in der oberdeutschen Ordensprovinz, Standort des Noviziats.

1745 trat Helfenzrieder in die Gesellschaft Jesu ein.
Er studierte in Innsbruck;
1755 wurde er zum Priester geweiht.
1758 war er Repetitor für Hebräisch in Innsbruck.
1759 lehrte er Logik in Landsberg.
1760 unterrichtete er Logik in Fribourg und ab dem folgenden Jahr auch Physik.
1765 bis 1770 war er an der Universität Dillingen Professor für Mathematik und orientalische Sprachen.

Dann bekam er, wie eingangs erwähnt, für zehn Jahre die Professur für Mathematik an der Universität Ingolstadt

Den Jesuitenorden hatte der Bayerische Kurfürst aufgehoben. 1773, es wehte ein aufklärerischer Wind durch das Bayern von Kurfürst Max III. Joseph; als Papst Klemens XIV. den Orden aufhob, ist man überzeugt, den kirchlichen Einfluss einzudämmen, ganz abgesehen davon, dass das jesuitische Vermögen im Land den fürstlichen Vorstellungen zu recht und zur Verfügung kommt. In Bayern sind 238 Patres, 149 Laienbrüder und über 100 Novizen betroffen. Die jesuitischen Universitätsprofessoren lassen sich so schnell nicht ersetzen.
1781 wird Helfenzrieder – im Zuge der Übernahme der philosophischen und der theologischen Fakultät durch die Pälatenorden entlassen.

Er übernahm fortan bei den Zisterziensern von Raitenhaslach den Unterricht in Mathematik und Physik.

Zweiundzwanzig Jahre später starb er dort.

Die Universität verlor mit Helfenzrieder eine außerordentliche Persönlichkeit – aus vorwiegend ideologisch-politischen Gründen und der Kurzsichtigkeit (wenn nicht auf Betreiben) eines main-streams, der sich geschichtlich als fatal und falsch erweisen sollte.

Dabei war der Geschasste längst mit höchsten Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet.

1772 hatte er einen Preis der Bayerischen Akademie der Wissenschaften erhalten und war
1775 Mitglied der Akademie der Wissenschaften geworden.
Er war Preisträger der Jablonowskischen Gesellschaft von Leipzig,
1777 der Akademie der Wissenschaften von Erfurt,
1781 der Dänischen Akademie zu Kopenhagen geworden.

Diese Ehrungen wurden ihm für entsprechende Preisschriften zu Teil oder in Anerkennung seiner Arbeiten und Veröffentlichungen verliehen.
Er hatte über Sonnenuhren geschrieben, astronomische Instrumente entwickelt, Tubus astronomicus, Ingolstadt 1773.

Er hatte sich über Landvermessung Gedanken gemacht (und Philipp Apians bahnbrechende Vermessung Bayerns fortgesetzt).

  • Diossertatio de distantia locorum sive accesorum, sive inaccesorum; in: Acta Societatis Jablonowski, Leipzig, 1773
  • Abhandlungen von der Geodäsie oder dem praktischen Feldmessen, Ingolstadt, 1775.

Er hatte sich sogar mit „Luftschifferei“ beschäftigt.

Er hatte eine Erklärung des Nordlichts und des Kopernikanischen Systems vorgelegt.


Er hatte für die Münchner Akademie Beschreibungen der von ihm verbesserten Quadranten verfasst.

  • Beschreibung eines neuen astronomischen Quadranten, in: Neue philosophische Abhandlungen der Churbayerischen Akademie der Wissenschaften 1 (1778).

Er hatte die Luftpumpe Jean Antoine Nollets erfasst und beschrieben.

Er hatte Maßnahmen entwickelt zur Verhinderung von Überschwemmungen.

  • Beantwortung der Preisfrage: Welche ist die leichteste und wohl feilste Art von Wasserbau, wodurch der Einbruch, oder vielmehr der Austritt eines Flusses aus seinen Ufern verhindert wird: und er nach der verlangten Directions-Linie geleitet oder in derselben erhalten werden kann; in: Philosophische Abhandlungen der Churbaierischen Akademie der Wissenschaften 9 (1775)


Er hatte eine verbesserte Feuerspritze entwickelt.

  • Abhandlung von Verbesserung der Feuerspritzen, Ingolstadt, 1777 (1778)

Zum Bild : Zwei Werke des „Erfinders“Helfenzrieder
Die von der Churmaynzischen Akademie der Wissenschaften Erfurt preisgekrönte und in Ingolstadt gedruckte Abhandlung zur Verbesserung der Feuerspritzen (1778) und die ebenfalls dort gedruckte astronomische Beschreibung des Tubus Astronomicus Amplissimi Campi von 1773.

Kraus schreibt: „Technische Begabungen wie die seine waren in Bayern damals selten“.
1781 also, sah man für dieses Ausnahmetalent keinen Raum mehr an der Landesuniversität – zu groß war die Animosität gegen den Jesuiten. Und letztlich war dies mit ein entscheidender Grund dafür, dass 1800 die Universität von Ingolstadt nach Landshut verlegt wurde. Es ging den sog. aufgeklärten Kreisen darum, die Universität von einem „Odium“ zu befreien. Dort seien nicht alle, schrieb der dezidiert im mainstream der Aufklärer treibende Professor Nikolaus von Gönner, seien „Freunde des Lichtes“, will heißen der Aufklärung: zu leicht könne der Obskurantismus wieder die Oberhand gewinnen. Voran die Jesuiten.
Insoweit war Helfenzrieder, der nun eher technologie-verliebt als obskurant-verschwörerisch war, ja eher eine Zierde des Fortschritts und der Gemeinwohlorientierung, ein Kollateralschaden des fanatisch-ideologischen Kurses, dem die kurfürstliche Regierung in der Hoffnung folgte, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen , um schlimmeres verhüten zu können.


Aber auch in seiner neuen (Austrags-)position in Raitenhaslach war Helfenzrieder weiter „wissenschaftlich“ tätig. 1785 stellte er eine Abhandlung vor, die an Benjamin Franklin anknüpft

  • Verbesserung der Blitzableiter, Augsburg, 1785


Ab 1786 stellte er regelmäßige metereologische Beobachtungen an.

Bestattet ist Helfenzrieder zu Burghausen – Marienberg – die dortige Grabplatte beschreibt ihn:

„Das Beispiel der Tugend,
Der Armen stiller Gönner,
Der Freund der Jugend,
Der großen Sterne Kenner“.

Die Stadt Ingolstadt hat einen „ Johann-Helfenzrieder-Transformationspreis geschaffen, der die Transformation von Forschungsergebnissen in marktreife Prototypen unterstützen soll. Er soll Ingolstadt in seinem beständigen Technologiewandel stärken, Wissenschaftler vor Ort und aus dem deutschsprachigen Raum für den Standort interessieren und die Prototypenentwicklung auf der Basis erarbeiteter Forschungsergebnisse forcieren.
Ziel ist die Vorbereitung von Unternehmensgründungen aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in Ingolstadt. Der Preis schlägt damit die Brücke zwischen den herkömmlichen Studien- und Forschungsprogrammen einerseits und den Unternehmens-Gründungsprogrammen andererseits und stellt einen Baustein im Ablauf der Forschungs-, Entwicklungs- und Gründungsförderung am Wissenschaftsstandort Ingolstadt dar.